Dritter Advent 2020
Dein Licht scheint durch
Gedanken von Annemarie Ritter
Ein zerbrochenes Tongefäß. Fast schon wäre es im Müll gelandet. Doch dann sagte der Mann, der es beim Aufräumen im Schuppen gefunden hatte, zu seiner Frau: Es spricht mich irgendwie an. Ich glaube, es gehört zu uns. Lass uns ein Licht hineinstellen… Die beiden hatten sehr Schweres erlebt. Das Licht, das so warm und hell hindurchscheint durch das zerbrochene Gefäß – es ist ihnen zu einem stillen, tröstlichen Symbol geworden.
Ich mag dieses Symbol. Ich spüre darin die Botschaft: Gott, DEIN Licht scheint durch. Es scheint durch auch und gerade durch das Zerbrochene in unserem Leben. Durch das, was wir unwiederbringlich verloren haben. Durch das, was nicht gelungen ist; was nicht perfekt ist. Es scheint hindurch durch das, was uns unter den Händen zerbrochen ist. Es scheint hindurch durch unseren Schmerz, unsere Angst, unsere Sorge – wenn wir all dem einen Raum geben in unserem Leben und es wagen, diese dunklen Anteile liebevoll anzusehen und auszuhalten.
Ich stelle mir vor: Wenn das Gefäß noch ganz wäre, wäre es zwar auch eine schöne Lichtschale. Das Licht könnte auch darin leuchten. Aber so richtig viel könnten wir nicht davon sehen. Wie ist das bei uns Menschen? Sind die, die besonders viel Licht in das Leben von anderen bringen, nicht auch häufig verwundete Menschen? Menschen mit Wunden und Narben, mit Rissen und Sprüngen und Brüchen in ihrer Biografie? Menschen, die die Dunkelheit kennen?
Ich stelle mir vor: Ich bin wie ein Gefäß – durchlässig für das Licht – durchlässig in beide Richtungen. Der helle Schein Gottes leuchtet in mein Herz hinein. Und er leuchtet aus mir heraus und erleuchtet andere. Wenn meine Fassade allzu perfekt erscheint; wenn ich selbst allzu perfekt sein möchte – dann ist das schwierig. Dann bin ich nicht so durchlässig, nicht in die eine und nicht in die andere Richtung. Es ist gerade die zerbrochene Stelle, der Riss, das Fragmentarische, was mich durchlässig macht für das Licht.
Ich denke an den fast schon hymnischen song von Leonhard Cohen, „Anthem“, in dem er – fast beschwörend mit seiner dunklen Stimme – wieder und wieder im Refrain singt: „There is a crack in everything, that´s how the light gets in“.
Vielleicht ist dieser Advent 2020 in besonderer Weise eine Einladung, IHM unsere Dunkelheit hinzuhalten – unsere persönliche, individuelle – und die Dunkelheit unserer Welt. ER wird sie verwandeln. Und wir dürfen strahlen!
Das geknickte Rohr wird ER nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird ER nicht auslöschen.
Jesaja 42,3