Freude, schöner Götterfunken

von Andy Lang

Gestern war ich – ganz Coronakonform allein – bei einem lieben Freund. Wir tranken ein Glas Rotwein. Lecker! Seine neunjährige Tochter kam und wollte mit ihrem Papa eine Runde Uno spielen. Als sie mich sah, verdrückte sie sich nicht beleidigt, sondern setzte sich zu uns an den Küchentisch. Wir unterhielten uns ein wenig zu dritt und kamen auf das Thema Musik. Plötzlich begannen Papa und Tochter ein Lied anzustimmen:

“Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium ….”

Sie sangen fehlerfrei und sichtlich mit Freude die ersten beiden Strophen. Ich war das Publikum und freute mich mit ihnen. Und war sehr beeindruckt: Welche Neunjährige ist so textsicher? Nicht einmal ich hätte es gekonnt!

Neben dem Bildungsschock begeisterte mich eine zweite Sache: Offenbar feiert diese Familie bewusst die Freude. Gemeinsame Mahlzeiten (mein Freund ist ein begnadeter Koch), gemeinsames Spielen, sogar die Ode an die Freude – all so was hat offensichtlich dort in ihrem Alltag einen Platz.

Ich möchte angeregt von diesem kleinen Erlebnis mit euch über den Platz der Freude in unserem alltäglichen Erleben nachdenken, denn eins ist klar: empfinden wir immer wieder, immer neu Freude, sind wir fröhlichere, gesündere, liebevollere und angenehmere Zeitgenossen. Echter WIN WIN!

Wir können Freude ganz besonders in drei verschiedenen Lebensbereichen erleben:

Genießen, Gemeinschaft, Gestalten.

Genießen: Ich hab soeben mit meiner Frau eine Woche Totalfasten beendet. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie lecker das erste gemeinsame Abendessen war. Alles schmeckte viel intensiver, lustvoller als zuvor. Und so ist es doch mit ganz vielen Dingen, die uns guttun: Wir können ihr volles Potential zur Freude erst wahrnehmen, wenn wir eine Zeit lang darauf verzichten. Schon Epikur, der große Philosoph der Freude (griech. Hedoné) wusste: “Nach nur kurzer Zeit der Enthaltsamkeit erscheint einem ein einfacher kynischer Käse wie ein himmlisches Festmahl und ein schlechter Wein wie der Trank der Götter selbst.”

Wir dagegen leben in einer Gesellschaft, in der Verzicht nicht positiv konnotiert ist. “I want it all, I want it now!”

Corona lehrt uns das Gegenteil: Genuss ist dort, wo wir um den Wert der Dinge wissen, die wir genießen und diese Freude ganz bewusst – und eben limitiert – erleben. Was für ein Fest, wenn wir zum ersten Mal wieder ein schönes Cafe oder Restaurant besuchen werden! Wir können uns dafür entscheiden, darüber zu klagen, dass es jetzt noch nicht geht. Oder uns an der Vorfreude selbst erfreuen.

Gemeinschaft: Zugegeben: In meinem Leben gibt es zum Glück etliche Menschen, mit denen ich mich verbunden fühle. Und oft schon saß ich bei Barbara in der Küche und freute mich über ein gutes Gespräch und einen dampfenden Kaffee. Als Corien und ich jedoch nach dem ersten Lockdown als allererstes Barbara besuchten, war es ein Fest. Wir hatten wochenlang zu niemanden physischen Kontakt gehabt außerhalb unserer Familie. Nun durften wir einander wieder sehen und sprühten vor Begeisterung und Freude und erzählten einander von den Dingen, die uns bewegten. Wir merkten, wie verbunden wir uns fühlten und wie froh wir darüber waren. Gemeinschaft pur!

Gestalten: Wir Menschen sind zum Ebenbild Gottes geschaffen – so deutet es die zweite Schöpfungserzählung. Das bedeutet für mich zuerst: Wir sollen – und können – kreativ werden, schöpferisch tätig sein, wir können Dinge aus ihrem Sosein erlösen und in einen größeren Kontext stellen, wir schaffen Verknüpfungen, die mehr als die Summe der Einzelteile sind, wir lassen Kunst entstehen oder befeuern die Wissenschaft, wir sind in der Lage, kühne Gedanken zu fassen und sie poetisch auszudrücken. Und wir dienen bei all dem der Gemeinschaft, denn auch das ist uns Menschen allen aufgegeben: Die Freude an der Schönheit, der Wahrheit, dem Guten.

Über drei Ecken habe ich gestern von einem jungen Gefreeser gehört, den ich schon lange kenne. Ich weiß, dass er im Nachbarort in einem tollen Betrieb eine Mechatronikerlehre gemacht hat und sich dort wohlfühlt. Was für mich neu war: Jonas ist Künstler geworden – und zwar zu einem Gutteil dank Corona. Weil es keine Partys mehr gab, mit denen ein junger Mensch seine Freizeit verbringen kann, tüftelte er an einem drei D Projekt mit verschiedenfarbigen Schnüren. Dazu trieb er über 800 Nägel in eine Ebene, die verschieden hoch daraus hervorragten und als Führung für die strings dienten. Um dieses Muster so präzise wie möglich zu wirken, baute er sich extra Maschinen (er würde es “tools” nennen) und kam so dem Ideal in seinem Kopf rasant näher. Ergebnis: eine ungewöhnliche und sehr fröhliche Interpretation der Vier Jahreszeiten. Und ein junger Mann, der nun weiß, welches Potential in ihm schlummert und dessen inneres Feuer zum Gestalten erwacht ist.

(Jonas-thuernau.de)

Die gute Nachricht: Unsere Freude am Gestalten muss sich nicht immer in die höchsten Spähren der Kunst erheben: Einen leckeren Kuchen zu backen, den Keller endlich aufzuräumen, demnächst den Garten mit Frühlingsfreude erblühen zu lassen oder ein altes Möbelstück aufzuarbeiten: Es ist in all dem die Freude, am Abend auf sein Tagwerk zurückzublicken und zu sagen: Das habe ich geschafft!

Wir selbst sind die Quelle der Freude, wenn wir es zulassen und es uns auch zutrauen.

Darf ich euch zu einem Experiment in der nächsten Woche einladen?

Erzählt doch einem vertrauten Menschen am Telefon, in einer Mail oder mit einer Postkarte von einer kleinen oder großen Freude, die euch in der Woche zuteil wurde: Denn: geteilte Freude ist doppelte Freude!

Euer Andy

Freut euch in dem Herrn allezeit! Nochmal sage ich es euch: Freut euch!

Philipper 4,4:

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