Gedanken zur Bundestagswahl 2021 von Andy Lang

„Liebe die Erde und küsse sie!“

Fjodor Dostojewski

„Sei gepriesen guter Herr, für unsere Schwester, die Erde, die uns nährt, die uns trägt und
uns erhält“

Franz von Assisi

„Ich erhebe mich heute kraft des Lichts der Sonne, des Glanzes des Mondes, der Festigkeit
der Erde“

Heiliger Patrick von Irland

„Einiges von dem Samen aber fiel auf gutes Land und trug Frucht, einiges hundertfach,
einiges sechzigfach, einiges dreißigfach“

Jesus

Ihr Lieben
Was ich hier mache, habe ich noch nie getan. Und ich würde es auch nicht tun, wäre die Lage nicht so historisch.

Was ihr – wenn ihr weiterlesen wollt – in den nächsten Zeilen von mir hört, ist natürlich keine Wahlempfehlung. Wählen ist etwas sehr Persönliches, darum intim und schützenswert. Ich will vielmehr meine eigene Gedanken dazu ordnen und im besten Fall damit Vorarbeit leisten für eure eigene Reflexion. Denn darin sind wir uns vermutlich ein: Selten war eine Wahl so wichtig wie diese und darum sind wir alle gerufen, unser demokratisch verbrieftes Recht zur Mitgestaltung unserer Welt auszuüben – selbst wenn wir politikverdrossen sind oder denken, „die da oben machen doch eh, was sie wollen“.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich glaube grundsätzlich, dass man alle demokratischen Parteien wählen kann. Wie wir wählen, hängt nicht nur von den Parteiprogrammen ab, also von den Inhalten der jeweiligen Protagonisten, sondern von unseren eigenen Haltungen, unserer familiären Prägung, unserem Beruf und dadurch spezifischen Teilinteressen und Wünschen an die Politik und vielleicht auch an unserer Abneigung gegenüber einzelnen politische Setzungen, die wir dann durch eine Art Abwehrwahl bekräftigen.

Ein erster Schritt zu einem mündigen und freiem Wahlverhalten ist, dass wir uns dieser Prägungen bewusst werden und entscheiden, ob wir uns diesmal davon leiten lassen oder rein inhaltlich wählen. Letzteres habe ich für mich entschieden. Dazu später noch mehr.

Warum diesmal? Die anstehende Wahl ist in vielerlei Sichten historisch:

  • Noch nie trat eine amtierende Kanzlerin nicht mehr an;
  • Noch nie gab es drei KanditatInnen;
  • Noch nie war das Handeln der kommenden Regierung so weichenstellend.

Zum letzten Punkt: Wissenschaftler und Politikanalysten sind sich einig: Die neue Regierung wird die letzte sein, die in Klimafragen noch handlungsfähig ist und Entscheidungen treffen kann. Alles danach wird eine Folge des Status Quo sein, den wir in den nächsten vier Jahren festlegen. Oder anders ausgedrückt: Wir haben keine Zeit mehr! Wenn wir das Pariser Klimaschutzabkommen einhalten wollen und die 1,5 Grad Erwärmung „retten“ wollen, müssen wir JETZT handeln. Ein „Weiter So“ oder „Joah, was machen wir denn noch?“ verbietet sich – es ist nicht nur unangemessen, sondern im wahrsten Sinne brandgefährlich. Wer einmal die Panik gespürt oder zumindest mitempfunden hat, die Tiere und Menschen durchleben, wenn sie in einen Waldbrand geraten, weiß, was ich meine.

Es geht dabei nicht nur um unsere Zukunft – Es geht um die unserer Kinder und Enkel. Und um die Menschen, die jetzt schon in Dürre- und Flutgebieten leben oder vom Meeresspiegel bedroht sind. Wer Flüchtlingsströme verhindern will, muss sich für die Erhaltung der Lebensgrundlagen der Menschen in ihrer Heimat einsetzen.


Die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands war ein Mahnruf: Auch bei uns im saturierten Westen können Extremwetterereignisse Menschenleben kosten und Lebensgrundlagen zerstören. Aus einem Paradies wie dem Ahrtal wird innerhalb von Stunden eine Hölle. Die Wassermassen verschwinden wieder, die Traumata der betroffenen Überlebenden bleiben.

Noch sind wir handlungsfähig – aber es wird einen Preis haben. Wie jede Entscheidung, die wir treffen, eine Folge hat, wird das künftige politische Handeln – besonders wenn es mutig und richtungsweisend ist – uns allen etwas abverlangen. Politik so zu gestalten, dass sie niemandem wehtut, verlagert den Schmerz nur in die Zukunft und macht ihn größer. Epikur, der Philosoph der Freude, sagt: „Es lohnt sich, einen Schmerz zu erleiden, um einen größeren Schmerz zu vermeiden oder eine größere Freude zu erlangen!“ Jeder, der schon einmal eine ärztliche Wundversorgung erfahren hat, kennt das am eigenen Leib: Erst tut es weh, dann wird es besser.

Reife Menschen wissen, dass alles seinen Preis hat und zahlen ihn gerne. Glaubt darum nicht jenen, die sagen, wir könnten schon irgendwie so weitermachen!

Die nötigen Reformen, Innovationen, Strukturanpassungen werden wehtun! Darum müssen sie so gestaltet sein, dass die Lasten solidarisch verteilt sind. Wer mehr tragen kann, wird es tun müssen. Das sollte uns der soziale Friede in unserem Land und die Versöhnungsarbeit gegen Spaltung und Demagogie wert sein – auch und gerade den Reichen und Superreichen, die auch davon profitieren, dass sie ohne Furcht vor Diebstahl ihre Luxusautos in einer Innenstadt parken können und auf sicheren Straßen ohne einstürzende Brücken fahren.

Wer also hinter den vorangestellten Zitaten steht, möge bei seiner/ihrer Wahlentscheidung vergleichen, welche Partei diese Haltung in ihrem Programm aus seiner/ihrer Sicht am ehesten vertritt.

Hier möchte ich noch ein Missverständnis ansprechen: Wenn wir wählen, wählen wir uns nicht selbst! Nur mit uns selbst könnten wir eine 100% Übereinstimmung erzielen. Es wird also immer auch Kompromisse geben müssen. Und genau das ist Demokratie: das polyphone Ringen um die Wahrheit, die als solche ja nie vom Himmel fällt, sondern
in langen und mühsamen Diskussionsprozessen zaghaft ans Licht tritt. Mir gefällt die Metapher vom Bildhauer, der die lichtvolle Madonna aus dem Dunkel des Baumstamms befreit, in dem sie über Jahrhunderte eingeschlossen war. Er tut dies mit Hingabe, Kenntnis und mühevoller Kleinstarbeit – letztlich mit Demut. So ist auch ernsthafte Politik: es geht hier nicht um Personen oder Glamour, sondern um intelligente Schwerstarbeit, Aktenstudium, Sachverstand, unbeleidigtes Aushalten anderer Ansichten und den unermüdlichen Versuch, Kompromisse zu finden.

An dieser Stelle bedanke ich mich gerne bei Frau Merkel, die ich zwar nie gewählt habe, die ich aber bewundere wegen genau dieser Melange: Fleiß, Uneitelkeit, Klugkeit und ein wunderbares Unbeleidigtsein, das in den vier Jahren, in denen sie zeitgleich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten regierte noch umso mehr strahlte. Von einem künftigen Kanzler/Kanzlerin wünsche ich mir zwar mehr Mut und Entschlossenheit, aber in den gerade genannten Eigenschaften ist Angela Merkel ein echtes role model. Danke!

Erlaubt mir zum Schluss eine persönliche Offenbarung: Wie aus dem eben Gesagten hervorgeht, bin ich kein Unionswähler, obwohl ich ganz wundervolle Profipolitiker aus der Union persönlich kenne – allen voran Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Es gibt in allen Parteien viele integere und hingebungsvolle Menschen. Aus erster Hand weiß ich, dass Christian Wulff, Bundespräsident a.D. von der CDU ganz eng befreundet ist mit Dieter Dehm, einem alten Haudegen der Linken, über alle Parteigrenzen und unterschiedlichen Werte hinweg. Das ist für mich ein Vorbild auch für unsere Familien und Freundeskreise: Einander wertzuschätzen, die vielleicht andere Entscheidung oder politische Neigung des Freundes zu hören, sich im besten Fall davon selbst hinterfragen zu lassen und nicht alles andere gleich in Bausch und Bogen zu verwerfen, weil Recht haben ja so Spaß
macht.

Im Gegensatz zu der großen deutschen Boulevardzeitung glaube ich nicht, dass wir eine Meinung brauchen. Was wir brauchen, ist eine Haltung und Werte. Und die kann aushalten, dass andere anders denken.

Nun zu mir: Von meiner Prägung her würde ich entweder SPD oder die Grünen wählen, weil mir der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und das entschiedene ökologische Vorgehen aus Liebe zur Erde als wichtigste politische Projekte erscheinen. Es geht ja eigentlich aus meinen vorangestellten Reflexionen fast zwangsläufig hervor,
so dass ich mich traue, das nun öffentlich auch zu sagen. Ich werde es diesmal jedoch nicht tun, aus einer strategischen Überlegung heraus: Weil ich will, dass SPD und Grüne ihr Wahlprogramm maximal umsetzen können, darf es für
mich keine Koalition mit der FDP geben, die in sozialen, klimapolitischen und fiskalischen Fragen genau auf der Gegenseite steht, auch wenn es außenpolitisch große Übereinstimmungen zwischen den potentiellen Ampelpartnern gibt. Aus einem mutigen Programm würde ein Progrämmchen und wir hätten gegenüber einer unionsgeführten
Regierung wenig gewonnen.

Daher habe ich mich entschieden, genau das zu tun, wovor die Union in ihrem Wahlkampf fast manisch warnt: ich glaube, ein Mitte- Grün- Linksbündnis würde unserem Land in den nächsten vier Jahren am besten dienen. Kluge und
verantwortungsvolle Unternehmer, mit denen ich spreche, sehen das übrigens genauso: Wir brauchen sozialen Frieden in unserem Land, um die wichtigen klimapolitischen Entscheidungen umsetzen zu können und wir müssen diese umsetzen, um nachhaltig, erfolgreich und gemeinwohlorientiert wirtschaften zu können. Kurzfristige Umsatzspitzen interessieren nur die, die am schnellen Geld interessiert sind. Es ist gerade der Mittelstand unserer Familien)Unternehmer, die dagegen an die nächsten Jahrzehnte denken, weil sie ihren Betrieb aus der vierten in die fünfte Generation übergeben wollen.

Frieden, Klimagerechtigkeit und erfolgreiches Wirtschaften und damit Wohlstand und Teilhabe für alle sind also keine sich ausschließenden, sondern sich gegenseitig bedingenden Faktoren. So sehe ich es. Und Du?

Ihr Lieben, ich danke euch, dass ihr mir bis hierher gefolgt seid. Ihr müsst nicht mit mir einer Meinung sein. Seid einfach ihr selbst und wisst, was euch am meisten bewegt. Heute morgen bin ich mit diesem Imperativ aufgewacht:

„Liebe überschwänglich, vertraue unvernünftig, koche hingebungsvoll, tanze leidenschaftlich und diene dem Leben unermüdlich.“

Euer Andy

PS: Am Freitag vor der Wahl – am 24. 9.2021 rufen Jung und Alt aus der Fridays for Future Bewegung zum Klimastreik auf. Geht hin, wenn ihr könnt oder sagt es weiter:

https://www.klima-streik.org/demos

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