Kapitel 5: Verzicht macht Spaß, Konsum höhlt aus
In der Coronazeit mussten viele von uns auf Vieles verzichten: Freunde besuchen, Einkaufen gehen, Kultur erleben. Dinge, die unseren Alltag einfach schöner machen. Aber auch voller. Die meisten von uns fanden diesen Verzicht vielleicht nervig, aber wir haben erlebt, dass das Leben dennoch weiterging. Global gesehen wird unser aller Leben nur weitergehen, wenn wir Verzicht von seiner negativen Konnotation befreien und als Teil unserer Überlebensstrategie begreifen. Wir wissen bereits, dass unsere Wegwerfgesellschaft in den Abgrund führt. Viele kleine und hoffnungsvolle Projekte wie Repaircafes und Kreislaufläden zeigen uns schon die Alternativen.
Dennoch: Warum kann Verzicht uns wertvoller erscheinen als Konsum? Bereits Mitte der Siebziger Jahre hat Erich Fromm in seinem bahnbrechenden Werk „Haben oder Sein“ festgestellt: Ab einem bestimmten Sättigungsgrad bedeuten weitere materielle Produkte nicht ein mehr an Glück, sondern wir empfinden sie eher als belastend. Zu derselben Erkenntnis kommt die Japanerin Marie Kondo, die berühmt durch ihren Weltbesteller „Magic cleaning“ um den Globus jettet und überforderte Mittelstandsleute aus den Industrienationen von ihrem Wohlstandsmüll befreit. Sie stellt ihnen die einfache Frage: „Macht es mich glücklich, dieses Ding zu besitzen?“ In 70 % der Fälle ist ein „NEIN“ die Antwort. Weg damit! Die glücklich Befreiten sind dann unendlich erleichtert, wenn die Müllabfuhr die Berge von Plastiksäcken mit Klamotten, Küchenutensilien und sonstigem Schnickschnack wegfährt. Wenn all diese bunten Dinge erst gar nicht gekauft und darum auch nicht produziert worden wären, lebten wir in einer anderen Welt. Um es mit dem Humoristen Robert Quillen zu sagen: „Zu viele Leute geben Geld aus, das sie nicht haben, um Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, um damit Leute zu beeindrucken, die sie nicht mögen.“ [1]
Wenn wir uns nach Erich Fromm dagegen dem Modus des Seins zuwenden, werden wir merken: Emotionale Erfahrungen, beglückende Begegnungen, wertvolle Beziehungen und ein inspirierender Austausch mit anderen Menschen sind ein unendlicher Brunnen von Glück. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat bereits am Beginn der Krise prophezeit: „Beziehungsqualität wird die neue Währung der Zukunft sein“.
Was jedoch wie eine gute Nachricht und wie ein Ausweg aus der Materialismus Schleife klingt, kann gleich wieder ökonomisiert und vereinnahmt werden für noch mehr Absatz. Georg Franck hat in seiner „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ zurecht erkannt: „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen“ [2] Und weil eben nicht jeder ein Rockstar sein kann und die großen Stadien der Welt füllen wird, ist die neue Währung Klickzahlen, Likes, Followers bei Facebook, Instagramm, Youtube und Co.
Wie können wir nun aus diesem Teufelskreis aussteigen und dazu kommen, dass Verzicht lustvoller ist als Konsum?
Ich denke an vier Einsichten, die dabei helfen:
1: Wir müssen den weit verbreiteten Gedanken „Das habe ich mir doch verdient“ als Illusion entlarven. Vordergründig stimmt es ja: Menschen arbeiten hart und wollen die Früchte ihrer Entbehrungen und Leistungen genießen. Zum Beispiel zweimal im Jahr in einen tollen Urlaub fahren – das hat sich als Mindestanspruch in der Mittelschicht etabliert. Es ist überhaupt nichts einzuwenden gegen unser Bedürfnis, Abstand vom Alltag zu gewinnen, schönes Wetter zu genießen, Zeit mit der Familie zu haben, die Seele baumeln zu lassen. Aber muss es im exotischen Clubhotel oder im All inclusive Schuppen sein? Was sind die Parameter? Und wer bestimmt eigentlich, was wir uns verdient haben?
2: Fasten und gezielter Verzicht ist ein Genussbringer! Seit 30 Jahren trinke ich in der Fastenzeit keinen Alkohol. Das ist kein Riesenopfer, aber schon ein Verzicht auf so manch festlichen Moment oder die kleine Entspannung am Abend. Unbeschreiblich, wie wundervoll das erste Glas Wein nach 6 Wochen am Ostersonntag schmeckt! Und der Genuss hält an! Insgesamt ist das für mich eine Vertiefung des Lebens, und sie macht sogar Freude.
[1] zitiert nach Maya Göpel, Unsere Welt neu denken, Berlin 2020, S.118
[2] Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, München 1998
3. Die richtigen Prioritäten im Leben zu setzen hilft, so zu leben, wie wir es selbst wollen. Das klingt banal, aber viele Menschen tun genau das nicht. Sie fühlen sich getrieben, sind in einem Hamsterrad und eilen von einer Verpflichtung zur nächsten. Und wieso eigentlich? Weil wir wie vergleichbare Menschen in unserem Alter und Bekanntenkreis uns gewisse Dinge und Statussymbole leisten wollen bzw. glauben, dass sie uns zustehen. Wenn wir nur hart genug arbeiten, so die allgemeine Doktrin, können wir uns auch all die schönen, bunten, teuren Dinge leisten. Kaum jemand überlegt tief genug, was er oder sie dafür eigentlich für einen Preis bezahlt.
4. Wir sind wir – und also unvergleichlich. Aus dem typisch menschlichen Bewerten und Vergleichen kommt sehr viel Frustration und sogar Unglück, denn wir neigen dazu, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Max Ehrmann sagt in seinem berühmten Text „Desiderata“: „Wenn du dich mit anderen vergleichst, werde nicht hochmütig und überheblich oder fühle dich nicht zu gering. Wisse: Es wird immer Menschen geben, die besser, vielleicht auch bedeutender, oder geringer sind als du. Freue dich an dem bisher Erreichten und deinen Plänen, die dich beflügeln.“
Da haben wir es wieder: Die Freude! Gelänge es uns doch, diese existentielle Lebenskraft in unserem Alltag immer wieder aufleuchten zu lassen, weil wir uns an einfachen Dingen freuen können: an der Wärme der Sonne, einem erfrischenden Regen, dem Kaffeeduft am Morgen oder dem Lächeln eines geliebten Menschen! Dann bräuchten wir all die schönen, bunten teuren Dinge viel seltener, die uns als so unverzichtbar für ein gutes Leben angepriesen werden. Und dann würden wir merken, wie lustvoll Verzicht sein kann, weil wir alles Wesentliche bereits haben. Und noch viel mehr: Weil wir es sind!