Aggro, oder was?

Zugegeben:  ich habe aktuell ein Problem: ich verstehe nicht, warum jeder so wütend ist! Warum sich die Menschen gegenseitig in die Tonne treten. Warum ein halbes Volk einen Mann wählt, der die Inkarnation der Wut zu sein scheint und sich für seine Verbalattacken auf alle, die ihm nicht passen, von den jubelnden Massen feiern lässt. Goldene Zeiten für sein Land prophezeit er, aber wo Verleumdung, Diffamierung, Lüge und Ausgrenzung herrschen, fällt es mir schwer, an gute Zeiten, geschweige denn an goldene Zeiten zu glauben.

Und zuhause bei uns: Aller guter Willen, alle Kompromissbereitschaft, alle diplomatische Expertise scheint auch hierzulande nicht gereicht zu haben, die Gräben zu überwinden, um in diesen turbulenten Zeiten eine stabile Regierung zu gewährleisten. To much ego, to little We.

Und das alles an einem Tag!

Vor einigen Wochen habe ich zusammen mit 12 Männern genau diesem Thema in unserem  Männerkreis nachgespürt. Wir nannten es: Aggro, oder was? Woher kommt all der Ärger?

Bei Stuttgart 21 wurde erstmals der Begriff verwandt: Wutbürger! Damals waren das noch eher grüne, sozial engagierte, durchaus gebildete Leute, die sich gegen ein Mega Infrastrukturprojekt stemmten: Aber dann kamen die anderen: Pegida, Querdenker, AFD – Menschen, die sich ein Thema so zu Herzen genommen hatten, dass alles andere – v.a. auch andere Ansätze – keine Chance mehr hatten. Ein Riss geht durch unser Land und jeder von uns hat bereits erlebt, wie unmöglich es geworden zu sein scheint, verschiedene Meinungen stehen zu lassen. Freundschaften zerbrechen, Familien entzweien sich, ganze Themenbereiche werden tabuisiert und es bilden sich Meinungsblasen, die sich gegen alles andere abschotten.

Wie können wir damit umgehen? Und was können wir dazu beitragen, in unserer komplexen Welt zum einen unseren eigenen Stand zu finden und zum anderen die Gelassenheit zu haben, mit anderen Ansätzen konstruktiv umzugehen?

Drei Dinge haben mich echt beeindruckt beim Austausch mit den Männern:

Einer erzählte – er wohnt in Thüringen – dass er immer mal wieder mit statements konfrontiert wird, die für ihn echt daneben sind: pauschale Ausländerfeindlichkeit zum Beispiel. Er hat sich abgewöhnt, hart dagegen zu argumentieren, aber er lässt es auch nicht einfach stehen. Ohne das Gegenüber vom eigenen, integrativen Standpunkt überzeugen zu wollen, sagt er unangefochten sein Ding, damit das Gesamtbild zu seinem Recht kommt. Er weiß, dass er damit niemanden auf seine Seite holt und er hat dabei keinen missionarischen Eifer. Aber die rechten Statements bleiben zumindest nicht unwidersprochen. Und er selbst kann damit gelassen umgehen.

Ich finde, darin liegt eine Größe, die anerkennt, dass die Wirklichkeit komplexer ist als wir sie gerne hätten. Gut situierte Leute z.B. können oft nicht nachvollziehen, warum sich Menschen übergangen, ignoriert und in ihrer Lebensleistung nicht wertgeschätzt fühlen und wie daraus der fruchtbare Boden für Verteilungskämpfe  gegenüber den noch Schwächeren entsteht. Ein entgegenkommendes „Ja, das höre ich“ könnte hier Wunder bewirken.

Ein anderer Mann, der beruflich viel in Skandinavien unterwegs ist, teilte seine Beobachtung:  die Nordländer reagieren oft mit einer kleinen Verzögerung auf einen Input. Was wie eine komische Marotte auf den schnell getakteten Mitteleuropäer wirkt, hat vielleicht eine tiefe Weisheit in sich: 21, 22, 23. Wenn wir ganz ruhig diese drei Zahlen nacheinander denken, ist der erste Ärger verraucht, bevor wir in einer hitzigen Diskussion zu einer Replik ansetzen. Der wunderbare Viktor Frankl sagt dazu: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“

Mit anderen Worten: Durchschnaufen hilft, Abstand gewinnen lohnt sich und nicht jeder Impuls, den ich auf einen Reiz von außen verspüre, muss unbedingt gelebt werden. Wenn ich mir diese kleine Pause gönne, multiplizieren sich meine Möglichkeiten. Und damit wächst meine Freiheit. Ich bin nicht festgenagelt auf die Reaktion, die sich erst einmal wie von selbst aus dem Urgrund meiner Seele nach oben bahnt.

Darin liegt die Spur zum Dritten: Warum ärgern wir uns denn eigentlich über etwas? Dieses Etwas liegt ja erst einmal im Außen. Aber es findet eine Resonanz in unserem Inneren. John o´ Donohue nennt das „Das Wundenfenster, das seit meiner Kindheit weit offen stand“. Der äußere Reiz berührt also eine innere Wirklichkeit in mir, die dann voll aktiviert wird. Nicht ernst genommen zu werden, oder verkannt zu sein können solche Wunden sein. Und so vieles mehr.

Wenn wir uns also auf den schweren, aber verheißungsvollen Pfad begeben, uns selbst besser kennen zu lernen, könnten wir solche Schalter, die sich automatisch bei uns umlegen, besser kontrollieren. Und damit sind wir wieder bei Punkt zwei: Der Freiheit.

Es liegt also eine Verheißung darin, zu üben: Unbeteiligt sein. Das Gemeinsame suchen. Dem Frieden dienen.

Wenn wir das tun, tragen wir auch in unseren kleinen Kreisen sehr effektiv dazu bei, der Spaltung Einhalt zu bieten. Denn alles beginnt ja immer bei mir.

Und da liegt auch die Antwort (zumindest ein Teil davon) auf die Eingangsfrage:
Der Ärger kommt aus mir!

Aber ich kann entscheiden, ob ich ihm Raum gebe, oder etwas Lichtvolles entgegensetze. Wie wäre es mit Humor? Gelassenheit? Liebe?

Alle drei kommen nicht aus uns. Aber wir können sie uns schenken lassen.

Glaubt euer Andy Lang

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