Es gibt noch ein Herz!
Adventsgedanken 2024
Eigentlich wollte ich angesichts so vieler Schreckensnachrichten aus aller Welt – ich erspare euch eine konkrete Reihung, denn jedem von uns fällt dazu genug von selbst ein – etwas über den Zauber der Adventszeit schreiben. Ich wollte – quasi als Gegengift zu den alltäglichen UNBotschaften – der vorweihnachtlichen Magie nachspüren. Und ich dachte dabei an die berühmte Geschichte einer Frage: 1897 stellte sie ein kleines Mädchen namens Virginia dem Chefredakteur der New Yorker Zeitschrift „Sun“: „Gibt es einen Weihnachtsmann?“, fragte die Achtjährige. Die Antwort von Francis P. Church hat Geschichte geschrieben, denn der weise Journalist beschwört darin den Zauber diesseits und jenseits unserer Wirklichkeit und ihrer Erscheinungen und bittet Virgina, sich ein offenes, kindliches Herz für die Schönheit und Durchlässigkeit der Dinge zu bewahren.
Aber dann kam es anders: Eine unverhoffte Begegnung heute ließ mich noch mal neu nachdenken: Auf dem Weg zurück von der Post (ich war wie so oft zu Fuß gegangen) traf ich im Nieselregen auf zwei wundersame Gestalten: Auf dem Liegerad mit Dach kamen sie daher und hielten neben mir an: „Hallo Andy, das ist schön, dich zu sehen!“. Ich traute meinen Augen kaum und dachte sofort an den Spruch: „Man sieht sich immer zweimal“!
Vor sechs Jahren – vor Corona also und damit in einem anderen Zeitalter – habe ich die beiden Investigativ – Journalisten spontan eine Nacht beherbergt. Die Zwei waren damals mit dem Rad und ohne Geld durch Deutschland unterwegs und deckten verzwickte Fälle journalistisch auf. Damals abends in Gefrees gestrandet wurden sie zu uns verwiesen, weil wir ja so gastfreundlich seien. Von ihren stories klangen mir die Ohren – fast fantastisch muteten sie an und dennoch wurden sie mit soviel Detailwissen und Professionalität vorgetragen, dass ich Ihnen wohl oder übel glauben musste: So viel Dunkles, Böses, Egoistisches, Gieriges war in der Welt unterwegs und die beiden waren diesen „dark forces“ auf der Spur. Man hätte meinen können, Sauron hätte sich atomisiert und wäre seitdem zwar weniger absolutistisch am Wirken als im großen Ringkrieg, dafür aber 1000fach multipliziert.
Sechs Jahre später also treffe ich zufällig wieder auf Heiko und Franz. Die beiden strahlen und sie sehen verdammt gut aus: durchtrainiert und sehr frisch. In der Zwischenzeit waren sie in fast ganz Europa unterwegs – mal mit dem Rad, mal zu Fuß – und alles immer noch ohne Geld. Nur im Lockdown hatten sie sich in einem Häuschen in Nordschweden verschanzt.
Besonders begeistert waren die beiden von ihrem Trip über den Balkan – dort erfuhren sie neben der normalen Gastfreundschaft anderer Gegenden eine fast überbordende Zuwendung besonders in den muslimischen Gebieten Bosniens und Herzegowinas: Menschen, die selbst kaum etwas hatten, nahmen die beiden ohne zu fragen auf und waren fast beleidigt, wenn sie darauf bestanden, ihr Zelt aufzubauen, statt im völlig überfüllten Häuschen zu schlafen. Es gab Tee, viel Tee, Gespräche mit Händen und Füßen und genügend zu essen. Heiko erzählt von einem alten Väterchen, der ihm acht Stunden lang bei der Arbeit am Laptop zusah – ohne ein Wort davon zu verstehen – und ihm immer zur rechten Zeit eine frische Tasse Tee brachte.
Ich frage sie, was Ihnen Hoffnung gibt angesichts der Abgründigkeit unserer Welt, der sie sich ja auf besonders intensive Weise nähern: Heiko sagt: „Es gibt noch ein Herz“ und Franz nickt heftig mit dem Kopf. Sie meinen damit: Sobald eine Begegnung jenseits ökonomischer Interessen (z.B. zwischen Einheimischen und Touristen) stattfindet, ist die Herzlichkeit und Zugewandtheit der Menschen ungebrochen da.
Ich höre es und begreife kurz darauf, dass dies so etwas wie ein Evangelium ist: Unsere Welt mag korrupt sein und unfähig, sich dem Guten und Wahren zuzuwenden. Aber die Menschen – die einzelnen Wesen – sind immer noch fähig zu Güte, Mitgefühl und Zuwendung. Wir sind noch fähig dazu! Weil wir alle noch ein Herz haben!
Wir könnten üben, unser Herz zu gebrauchen: Indem wir das Bedürfnis unseres Nächsten sehen. Es muss ja keine große Not sein, vielleicht ist es nur eine Sehnsucht nach einem guten Wort, etwas Nähe, ein Lächeln, ganz normale Freundlichkeit. Ich bin sicher, es wird uns dann gelingen, die Trennung und Spaltung, die sich zwischen den Menschen ausbreiten will, zu überwinden, denn: „Nur Glaube, Phantasie, Poesie, Liebe können diesen Vorhang beiseiteschieben und die übernatürliche Schönheit und den Glanz dahinter betrachten und beschreiben.“ – sagt Francis P. Church in seiner unsterblichen Antwort an Virginia o´Hanlon.
So wünsche ich euch eine zauberhafte Adventszeit – weil der Zauber bei euch selbst beginnt!
Euer Andy Lang