Halleluja – wie wir auf ein schwieriges Jahr zurückblicken können

von Andy Lang

„Lasst uns miteinander, singen, preisen, loben den Herrn“ So geht ein Kirchenpopschlager aus den 70ern, und wenn man den songs schwungvoll spielt, kommt tatsächlich gute Laune auf.

Nur: Wie geht es uns mit der guten Laune, wenn wir zurückblicken auf dieses Jahr 2021?

Da wird uns wohl an der ein oder anderen Stelle das Singen und Loben im Halse stecken bleiben. Die anhaltende Pandemie mit der kleinen Verschnaufpause im Sommer ist nur ein nervtötender Aspekt eines insgesamt schwierigen Jahres. Die Flut mit apokalyptischen Bildern im Ahrtal ist sicherlich eine neue Dimension von Naturkatastrophen in unserem sonst so gesegneten Land. Dahinter stehen – nicht nur bei den Toten der Opfer – Familienschicksale und zerstörte Lebensgrundlagen. Aber auch persönlich hat es etliche von uns in diesem Jahr hart getroffen: Durch den Verlust von geliebten Menschen, durch Spannungen in der Familie durch die unterschiedliche Aufnahme von Regierungsmaßnahmen gegen Corona, die Spaltung, die sich durch unsere Gesellschaft zieht.

Wie können wir also mit einem versöhnlichen Blick auf dieses Jahr zurückblicken – auch und gerade wenn wir betroffen sind von der ein oder anderen Welle, die uns aus den gewohnten Bahnen zu werfen vermochte?

Natürlich hab ich kein Geheimrezept nach dem Motto: Lies weiter und beginne, glücklich zu sein. Aber ich möchte drei Haltungen mit euch bedenken, die uns helfen können, schweren Erfahrungen in unserem Leben einen Raum zu geben.

„I never promised you a rose garden.“

Mit diesem Buchtitel des Weltbestsellers von Hannah Green will ich eine Haltung beschreiben, die uns helfen kann, Unerwartetes oder auch Schweres anzunehmen: Die Überzeugung, ein Recht auf ausschließliche Sonnentage zu haben, führt eben nicht in den Rosengarten, sondern in die Wüste. Kein Leben macht immer Sinn und niemand wird niemals verletzt. Das ist zwar eine banale Wahrheit, aber scheinbar dennoch eine echte Anstrengung, solch eine Erwartungshaltung aufzugeben. Gerade für Menschen meiner Generation, den Baby Boomern, ging es in der Jugend ja – trotz kaltem Krieg und drohendem Atomkonflikt – immer nur bergauf. Alles wurde immer besser. Das stimmt natürlich nicht (man mag sich nur mal die Mode – und auch Klangverirrungen der 80 er Jahre bewusst werden), aber es war uns tief eingeprägt. Das Gegenteil ist der Fall: Unser Leben ist ein Auf und Ab von Schönem und Schwierigen. Und wenn wir Letzteres nicht von vorneherein ausblenden, können wir es besser annehmen. Und eben damit leben. Ein Beispiel: Eine liebe Freundin von mir hat heuer ihre beste Freundin an deren Krebserkrankung verloren. Das war eine furchtbare Verlusterfahrung. Und eine himmelschreiende Ungerechtigkeit: Warum muss eine strahlende, ziemlich junge Frau, die etlichen Menschen viel bedeutet und viele Begabungen hat, so viel zu früh und schrecklich sterben? Zu der Trauer um die geliebte Freundin kommt noch die Trauer um eigene, für immer verlorene Glücksmomente: Nie mehr zusammen lachen und Blödsinn treiben, nie mehr miteinander singen und unbeschwert sein, nie mehr füreinander da sein und sich gegenseitig tragen und trösten. Meine Freundin war mutig und stellte sich ihrer Trauer. Sie hat einen Platz für ihre verstorbene Freundin in ihrem Haus, ihrem Herzen, sogar an einer Lieblingsstelle im Wald bereitet. Dort hinzugehen ist nicht schön – denn immer wieder ist dort augenfällig, was für immer verloren ist. Aber es ist auch heilsam, weil tiefe Dankbarkeit für die gemeinsamen Zeiten und die Wunder der Liebe dort wohnt. Mit der Zeit – mit ganz viel Zeit und ohne eigenes Drängen – wird aus dem Schmerz eine Weisheit werden. Ich sehe sie bereits. Und aus der Weisheit wächst eine Zärtlichkeit, die nur aus solchen Erfahrungen entstehen kann.

„It could be worse“

Mit diesem irischen Sprichwort will ich nicht der fränkischen Verharmlosung „bei der Frau Wimmer wars noch viel schlimmer“ das Wort reden. Manche Dinge, Erfahrungen und Verletzungen könnten einfach nicht schlimmer sein. Und nur wir selbst sind berufen, die Schwere einer Zumutung, die wir durchs Leben erhalten haben, zu bestimmen, niemand sonst. „It could be worse“ darf also nie ein gutgemeinter Spruch von außen sein, etwa weil man als Zuhörender genug hat vom Leid des Gegenübers oder sonst keinen Trost geben kann. Es kann allerdings eine sehr hilfreiche Erinnerung für uns selbst sein. Was wir erleben – die Pandemie zum Beispiel – ist das wirklich schon das Ende der Erträglichkeit für mich selbst? Oder ist da noch Luft nach oben? Wenn ja, dann bedeutet das ja nicht, dass ich nicht wirklich viel Frustrationstoleranz und auch Geduld aufbringen musste, um das Erlebte irgendwie zu verarbeiten. Beispiel: Ich selbst bin unmittelbar betroffen von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Seit fast 2 Jahren ist es schier unmöglich, professionell – das heißt auch langfristig – Konzerte zu planen – geschweige denn Pilgerreisen. Die ständige Absageritis und Verschiebritis hat mich echt den letzten Nerv gekostet. Wenn ich mit befreundeten KollegeInnen spreche, ist es überall das gleiche Bild: Es reicht jetzt! ABER: hätte uns die Pandemie 10 Jahre früher getroffen, wäre ich als damals alleinernährender Familienvater mit zwei kleinen Kindern und einem neugekauften Haus schwer ins Schlingern geraten. Heute sind all die Einschränkungen zwar nervig, aber nicht unbedingt existenzbedrohend für unser kleines System. Es hätte – und das ist wirklich ein Trost für mich – also wirklich schlimmer sein können. Geschweige denn, dass wir bisher alle gesund geblieben sind – auch das ist keine Selbstverständlichkeit.

Halleluja:

Das heißt: Lobt den Herrn. Oder einfach: Sei dankbar! Count your blessings! Wenn wir unseren Blick konzentrieren auf das, was schön und erhaben ist, inspirierend und hoffnungsvoll, was uns Mut macht und aufbaut, ist das kein naives Schönwetterdenken. Eher das Gegenteil: die Dankbarkeit für das Gute in unserem Leben und unser achtsamer Blick für das Schöne gibt uns die Kraft, auch das Schwere zu nehmen und ihm einen Platz zu geben. Wir müssen nichts verdrängen und es ist gut, wenn wir dem Drang dazu widerstehen. Wir dürfen beides sein: Strahlende und fröhliche Männer und Frauen mit vielen Gaben und zugleich verletzliche und verletze Menschen, die noch nicht alles umgesetzt haben, was möglich wäre. Wir dürfen perfekt unperfekt sein. Zufrieden mit der Unvollkommenheit. Und dankbar für die Breite aller Erfahrungen.

Niemand hat das je so stimmig und kunstvoll ausgedrückt wie Leonard Cohen in seinem Halleluja. Als musikalischen Gruß fürs neue Jahre lade ich euch ein zu einer 5 minütigen Zeitreise in mein Bühnenjubiläum auf der Luisenburg im September 2019. Singt mit zuhause, freut euch an den Stimmen von Joy in Belief und an dem grandiosen Geigensolo meiner Monika Romanovska. Freut euch überhaupt! Halleluja!

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Euer Andy Lang

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