Das Apfelbäumchen

Warum Hoffnung wirklich zuletzt stirbt und wie sie unsere Resilienz stärkt

Martin Luther soll gesagt haben: „ Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob der Wittenberger Reformator wirklich diesen Satz gesagt hat, aber wir wissen, dass Luther mit ganz konkreten Weltuntergangsszenarien gerechnet hat und in einer wahrhaft endzeitlichen Epoche lebte: Die Anarchie der Bauernkriege zu Beginn der Reformation (an der er nicht ganz unschuldig war mit seiner Freiheitspredigt, die freilich die unterdrückten Bauern so interpretiert haben, wie s ihnen in den Kram passet) oder die dystopischen Zustände im sogenannten Täufer Reich zu Münster (die Täufer waren ebenfalls Zöglinge der Reformation) konnten damals wirklich das Ende der Welt nahelegen. Irgendwie blieb die Welt aber bestehen.

Der Unterschied zu uns modernen Zeitgenossen war vielleicht, dass der Mensch der frühen Neuzeit sowieso ständig mit seinem Ableben rechnen musste: Seuchen, Krankheit, Krieg oder Hungersnot – diese vier apokalyptischen Reiter waren quasi allgegenwärtig. Wir dagegen wollen unter 80 gar nicht ans Abtreten denken und sind daher von den multiplen Krisen unserer Zeit so verunsichert, dass nicht wenige Menschen die Hoffnung verloren haben. Sie flüchten sich ins Private, in den Konsum oder sie wählen starke Männer, Autokraten, die schon alles richten werden.

Von einem ganz besonders krassen Fall hörte ich vor 3 Wochen: Die knapp 80 Jährige recht gesunde Mutter einer entfernten Bekannten ließ sich mit support aus der Schweiz den Todescocktail reichen, weil sie davon überzeugt war, dass die Welt. untergeht im entfachten Krieg der Systeme.

Hoffnungslosigkeit kann also wahrhaft tödlich sein. Und wenn sie uns nicht physisch umbringt, kann sie die Lebensfreude dimmen, die Motivation rauben und uns in Verzweiflung – oder zumindest Abgestumpfheit stürzen.

So weit soll es nicht kommen. Ich blicke mich um nach Zeugnissen der Hoffnung wider besseren Wissens. Ich werde fündig wenige Kilometer östlich von uns, in der nördlichen Oberpfalz. Dort stand zu NS-Zeiten das KZ-Flossenbürg und dort wurde Dietrich Bonhoeffer hingerichtet. Wenige Tage vor seinem Tod schrieb er diese Zeilen:

„Es ist klüger, pessimistisch zu sein, vergessen sind die Enttäuschungen und man steht vor den Menschen nicht blamiert da. So ist Optimismus bei den Klugen verpönt. Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt.”

War Bonhoeffer naiv? Er musste doch gewusst haben, was die Nazis final mit ihm vorhatten? Seine Hoffnung im Angesicht des Todes muss eine andere Quelle gehabt haben als last minute Rettungsphantasien oder Ausbruchszenarien.

Ich glaube, es ist die gleiche Quelle, die Luther zum Apfelbäumchen brachte: Das Wissen, dass sich die Welt auch ohne uns weiterdreht und dass es für uns Christen eine Perspektive gibt, die weiter ist als unser eigenes, begrenztes Leben.

Aber wie können wir zu dieser Quelle kommen, wenn Kriegstreiberei, Klimakatastrophen und persönliche Schicksalsschläge uns den Weg dahin verbauen?

Ich denke, es liegt an einer bewussten Entscheidung: Wie blicke ich auf die Welt? Wie sehr kann ich mein Urvertrauen aktivieren? Wie präsent sind mir die Segnungen meines Lebens, die es trotz aller Niederlagen und krisenhafter Momente ja in Fülle gibt.

Die Philosophin Thea Dorn legt in einem Interview in der Zeit dazu den Finger in die Wunde:  “Zuversicht ist nicht das, woran wir uns im Westen in den Jahrzehnten von Freiheit, Wohlstand, Frieden gewöhnt haben. Zuversicht ist (…) ein Charaktermuskel, der trainiert werden muss. … Für jedes Muskeltraining gilt: Ohne Widerstand geht es nicht. So gesehen leben wir in ausgezeichneten Zeiten.”

Für uns als Menschen, die von der Ostererfahrung her kommen, dass das Leben gegen allen Augenschein stärker ist als der Tod, könnte das eine gute Nachricht sein.

Lasst sie uns teilen – und wenn wir Stirnrunzeln bei unserem Gegenüber ernten, um so besser: Vielleicht besteht dann ja konkrete Ansteckungsgefahr: mit Hoffnung.

Die Apfel Ernte soll heuer übrigens besonders ertragreich werden.

ANDY LANG zu Ostern 2024

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