Dreikönigstag 2021
Gedanken von Annemarie Ritter
Drei Gottesdienste lang habe ich darunter gelitten, dass jetzt auch noch der Gemeindegesang verboten ist. Am Weihnachtsmorgen saß ich in unserer Christuskirche, hörte auf die Predigt meines Kollegen und auf schöne Instrumentalmusik – die Kälte, die Masken, der Abstand, all das störte mich nicht – aber nicht singen zu dürfen, das machte mich echt traurig. Mein Blick schweifte über Krippe, Stern und Weihnachtsbaum zum Altar und ruhte dann auf dem großen Wandteppich über dem Altar, der den auferstandenen Christus zeigt, in weißem Gewand, mit segnend erhobener Hand. Da fiel mir mit einem Mal der Gedanke ins Herz, dass ich ja beim nächsten Mal stellvertretend für die Gemeinde singen könnte.
Ich ignorierte die „Das-kannst-du-nicht“-Stimmen in meinem Inneren, sprach mit unserer Organistin – und wir setzten es um. Im Silvestergottesdienst sang ich gemeinsam mit meinem Mann, im Neujahrsgottesdienst alleine. Ganz schlicht, nichts Außergewöhnliches – nur einige Gesangbuchstrophen. Es war wunderschön für mich und ich wurde beschenkt mit Resonanz von Menschen, die mich tief berührte und glücklich machte.
Warum erzähle ich das? Es hat für mich zu tun mit einem lang verborgenen, fast vergessenen, vielleicht auch verdrängten Wunsch und Traum: Mein Herz, meine Seele will singen – nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere. Und es erinnert mich an einen Auftrag, eine „Berufung“: „Sternsingerin des menschenfreundlichen Gottes“ solle ich sein, so hat vor vielen Jahren bei meiner Ordination mein damaliger Regionalbischof Dr. Ernst Bezzel in seiner Ansprache gesagt. Es war an einem 6. Januar. So war das Bild der „Sternsingerin“ einerseits naheliegend. Andererseits fiel es mir ins Herz als sehr persönlicher und stimmiger Ausdruck meiner Berufung. Beides, mein Wunschtraum und der Auftrag bei meiner Ordination, ist mir gerade wieder ganz nah und erscheint mir wie mein „Stern“, der mir den Weg weist – im Moment ganz konkret den Weg durch die Gottesdienste in dieser verrückten Corona-Zeit.
Wer Andys Neujahrsandacht angesehen und angehört hat, hat das Lied „Wir haben einen Stern gesehen“ vermutlich noch im Ohr: „Verhalten noch streift mich ein Licht, ein Schimmer, Widerschein des Ewgen. Doch stark genug ist es, den Raum in mir zu hellen und zu leuchten, um meinen Weg zu gehn im Segen“, so heißt es in einer der Strophen. Diese Erfahrung wünsche ich euch, jedem und jeder einzelnen auf seine, auf ihre Weise.
Ich möchte dich einladen und ermutigen, Ausschau zu halten nach deinem „Stern“. Vielleicht kennst du ihn längst. Oder er leuchtet überraschend auf für dich. Vielleicht entdeckst du ihn im Außen, vielleicht auch in deinem Inneren. Du kannst ihn nicht herbeizwingen; Sterne folgen ihren eigenen Gesetzen. Aber du kannst die Augen deines Herzens offen halten. Du wirst es spüren und wissen, wenn du deinen „Stern“ gefunden hast. Trau dich, ihm zu folgen…
Die Weisen aus dem Morgenland, so erzählt die Bibel, folgen dem Stern, von dem sie überzeugt sind, dass er sie zu einem neugeborenen König führen wird. In der Tradition werden sie selbst zu „Königen“. Der Tag, an dem wir uns an ihre Ankunft an der Krippe erinnern, heißt landläufig „Dreikönigstag“. Wer weiß – vielleicht werden auch wir zu Königinnen und Königen, wenn wir es wagen, aufzubrechen und unserem Stern zu folgen?
Der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an.
Matthäus 2, 9-11