Freundlichkeit gegen Frieren
Der Gute Gedanke von Andy Lang
Nach dem letztjährigen Partyhit „Der Sommer wird gut“ von Cornelia Kebekus ist das aktuelle Mantra viel düsterer und es schallt uns allenthalben aus Radio, Zeitung, Fernsehen entgegen: „Der Winter wird hart – und kalt“.
Das mag auch durchaus sein. In öffentlichen Gebäuden ist die Zimmertemperatur um drei Grad gesenkt, das Gefreeser Schwimmbad hat seinen Warmbadetag abgeschafft, den es seit den 70er Jahren für Mütter, Kleinkinder und Warmduscher gibt, unser Wirtschaftsminister duscht maximal 2 Minuten und vielen von uns wird es schlecht, wenn wir die aktuelle Gas-, Öl- oder Pelletrechnung bezahlen müssen (letztere sind so unverschämt teuer geworden ohne jeglichen Bezug zum Ukrainekrieg, dass man darin die ganze Fratzenhaftigkeit rein kapitalistischen Wirtschaftens ohne soziales Gewissen erkennen kann).
Was sollen wir also tun?
Ich hatte am vergangenen Wochenende meine ersten drei Adventskonzerte. Zugegeben, ich musste selbst erst mal ein wenig in Stimmung kommen, aber dann war ich voll drin. Und hab mich wie ein Kind gefreut über diese schönen alten und vertrauten Melodien und der Zauber hat wieder funktioniert: Es ist eine besondere Zeit, in der wir gerade sind. Nicht weil sie im Kalender steht, nicht weil in den Häusern die Kerzen brennen und die Luft nach Tannengrün duftet und auch nicht, weil Glühweinseligkeit auf Weihnachtsmärkten unsere Sinne benebelt. Es ist einzig und allein unsere Zuschreibung an diese Zeit, unsere Erwartung, dass am Beginn des Winters dennoch eine große Freundlichkeit Einzug halten möge in unsere Herzen.
Woher weiß ich das? Ich hab es schwarz auf weiß gelesen und dann sogar gesungen. In dem alten elisabethanischen Weihnachstlied „To drive the cold winter away“ gibt es eine Handlungsanweisung, die in literarischer Qualität und hilfreicher Lebensweisheit kaum zu übertreffen ist. Erlaubt mir bitte, erst das Original zu zitieren, weil es in seinem altertümlichen Englisch so anrührend ist und es dann zu übersetzen:
„If wrath be to seek do net lend her thy cheek, nor le her inhabit thy brow“
heisst soviel wie:
Wenn der Zorn dich heimsucht, dann leihe ihm nicht dein Antlitz und lass ihn auch nicht Wohnung nehmen zwischen deinen Augenbrauen.
Wow, da hat jemand ganz genau hingesehen. Eine exakte Beschreibung, was mit uns physiognomisch geschieht, wenn wir uns aufregen. Dazu beginnen wir zu zittern, uns wird heiß und kalt zugleich und die destruktive Emotion der Wut spült uns auf einer mächtigen Welle dahin. Wir sagen und tun Dinge, die wir hinterher meist bereuen. Dann ist das Porzellan aber schon zerschlagen.
Ich sage damit nicht, dass es keinen heiligen Zorn geben kann, eine Leidenschaft für die gerechte Sache, eine angemessene Anklage der Ungerechtigkeit, der Gier und der Dummheit. Die Aktivisten der letzten Generation und die Fridays Jugendlichen haben meine ganze Bewunderung.
Zumeist hat aber unsere „normale“ Wut eher etwas damit zu tun, dass wir uns – gerechtfertigt oder nicht – auf den Schlips getreten fühlen. Oft steckt dahinter eine kleine (oder schlimmstenfalls eine große) narzisstische Kränkung.
ABER – und das ist die gute Nachricht – wir sind dem nicht hilflos ausgeliefert. Wir können bewusst einen Schritt zurückgehen, unsere Emotion betrachten und auf ihre Angemessenheit prüfen. Wie immer helfen dabei zwei Dinge: Vorbilder und Üben.
Es gibt Menschen, die eine Gabe darin haben, nicht gleich in negative Resonanz zu gehen. An denen Wut und Groll abprallen. Die weniger sich selbst verletzt fühlen als Mitgefühl empfinden mit der zu leidenschaftlichen Person. Mein Sohn Arthur ist so ein Mensch. „Komm, kriegt euch mal wieder ein“ sagt er dann und seine Worte können Wunder bewirken. Er selbst ist zu dieser Gabe gekommen, indem er geübt hat. Als kleiner Kerl war er eher schnell beleidigt. Und er hatte einen Freund, dem es diebische Freude gemacht hat, Arthur aufs Korn zu nehmen. Irgendwann hat mein Sohn dieses Spiel durchschaut und beschlossen, es nicht mehr zu spielen. Er war wie verwandelt. Heute ist er ein Meister der Deeskalation. Weil er geübt hat.
Wir alle könnten das. Und wir könnten in einem unverfänglichem setting damit anfangen. Wie wäre es, der Person hinter uns am nächsten Glühweinstand den Vortritt zu lassen. Jemand Unbekannten in der Fußgängerzone herzlich anzulächeln. Der Verkäuferin im Supermarkt (systemrelevant!) zu danken, dass sie schon so lange ihren Job macht.
Freundlichkeit kann die Welt verändern. Und uns das Herz erwärmen!
Der Clou daran: Wir sind selbst die allerersten, die dadurch beschenkt werden. Der niederländische Kulturanthropologe Rudger Bregman hat in seinem Buch „Im Grunde gut“ (absolut zu empfehlen und leicht zu lesen) nach langem Forschen postuliert: Es ist nicht unsere Intelligenz, die uns zum homo sapiens macht, sondern unsere Freundlichkeit. Die Intelligenz ist eher die erwünschte Nebenwirkung.
Sind freundliche Menschen also schlauer? Keine Ahnung. Aber sie sind schöner. Und sie machen das Leben lebenswert – und: WARM!