Fuck excellence!

Zugegeben: Das ist eine ungewöhnliche Überschrift über einen guten Gedanken und schon gleich gar nicht mein Sprachstil. Und dennoch hab ich mich für diesen krassen Ausdruck entschieden, weil es um mehr geht als einfach nur cool zu klingen. Ich will euch erzählen, warum:

Am Wochenende war ich auf dem letzten Balletwettbewerb von Kira, einer internationalen europäischen Meisterschaft in Venlo, NL. Seitdem unser Tochter 5 ist, tanzt sie und das hat ihr viele Jahre lang sehr viel Freude gemacht, ihr Körpergefühl gestärkt, ihr Erfahrungen von Selbstwirksamkeit gegeben und ihr nicht zuletzt wertvolle Freundschaften beschert.

Auf der Bühne in dem großen und ehrwürdigen Theater habe ich unglaubliche Tänzerinnen gesehen – Mädchen und junge Frauen, die mit viel Hingabe, Disziplin und Talent weit gekommen sind in ihrer Kunst. Und doch hatte ich bei aller Freude über solche Begabungen und Engagement ein komisches Gefühl. Denn es ging – logischerweise für einen Wettbewerb – um den Vergleich. Wer dehnt sich noch abgedrehter, wer tanzt noch eleganter und wer kann die komplizierten Figuren noch flüssiger ineinander drehen? Manche Mädels gaben an, 5 – 6 Mal pro Woche stundenlang zu trainieren. Bei den Bewertungen der Jury gab es dann auch oft nur einen Punkt Unterschied bei Höchstpunktzahl 100 zwischen dem ersten und dem zweiten Platz. Da spielt dann sicherlich auch Geschmack und letztlich eine gewisse Beliebigkeit in der Bewertung eine Rolle.

Zeitgleich zum tosenden Applaus für die Glücklichen auf dem Treppchen auf der Bühne erscholl draußen auf dem historischen Marktplatz ein noch lauteres Getöse: Die niederländische Nationalelf landete eben ihren ersten Treffer gegen ihren EM Gegner und Tausende Fans mit orangenen Schals sprangen von ihren Sitzen beim public viewing. Die 11 Jungs auf dem Spielfeld hielten sich in den Armen – auch sie Helden der Exzellenz, die ganz Wenigen, die aus einem nationalen Kader den Aufstieg in das Himmelreich des runden Leders geschafft haben mit Schmerz, Schweiß und Tränen. Die Millionen anderen sind die jubelnde Masse, die zur Inszenierung der Besten wesentlich dazugehört.

Warum löst beides in mir so ein flaues Gefühl aus?

Dritte Szene: Ich war eben 20 geworden und nach meinem Auslandsjahr in England eingeladen zu einer Tagung der Studienstiftung des deutschen Volkes. Es ging darum, ob wir als je Jahresbeste unseres Abijahrgangs ein Stipendium bekämen – Geld und Förderung, die ich als armer Student gut gebrauchen konnte. Die Gastgeberin begrüßte uns – irgendeine Professorin, deren Namen und Fachgebiet ich vergessen habe. Unvergesslich aber ihr Tonfall und ihr erster Satz, der sich bei mir eingebrannt hat: „Meine Damen und Herren, wir sind hier zusammengekommen, um die Creme de la creme von der Creme zu scheiden“. Ich ärgere mich noch heute über mich, dass ich nicht da sofort aufgestanden bin und diese arrogante Veranstaltung verlassen habe; ich war einfach zu baff angesichts dieses offen zur Schau gestellten Elitebewusstseins.

Denn ich wusste damals schon intuitiv: Die Besten retten uns nicht. Die Besten dienen nur ihrer eigenen Eitelkeit oder dem Mammon. Was uns rettet, sind die Guten. Die Menschen, die in ihrem Bereich mit Ausdauer, Fleiß und v.a. Demut ihr Ding machen und im Idealfall damit die Welt ein bisschen besser, liebevoller, gerechter werden lassen. Ich denke an Mamis und Papis, die mit unendlicher Geduld und Liebe über Jahrzehnte ihren Kindern helfen, fröhliche und selbstbewusste Menschen zu werden; an Pflegekräfte und Mediziner, die ihren Klienten mit offenem Herzen und ihrem Fachwissen begegnen; an KünstlerInnen, die nicht nur in ihrer Kunst brillieren, sondern andere inspirieren, selbst die Freude eigener Kreativität zu entdecken und zu leben. Ich könnte hier noch lange weiterschreiben, aber ihr wisst, was ich meine: Die Guten sind Menschen, die etwas können und das einsetzen zum Wohle aller.

Kein Vergleich zwischen Äpfel und Birnen, keine Siegertreppchen und kein Hype. Vielmehr: Hingabe, Treue und Demut. Das Wissen, dass all meine Kraft und meine Begabung nicht aus mir selbst kommt, sondern in weiten Teilen ein Geschenk ist.

Deswegen darf ich mich durchaus freuen und sogar stolz sein, wenn mir etwas Schönes gelingt. Aber ich werde es nicht vergleichen mit dem was anderen gelungen ist.

In dem Text „Desiderata“, einer Ansammlung von Tipps zum Guten Leben, gibt es einen bedenkenswerten Satz:

„Vergleiche dich nie mit anderen, denn es wird immer Niedrigere und Höhere geben als dich. Wenn du es dennoch tust, wisse: Eitelkeit oder Bitterkeit erwarten dich.“

Kira wird nun nach 12 Jahren zum Schuljahresende ihre Ballettwelt hinter sich lassen. Sie hatte keine Lust mehr auf den ständigen Vergleich und das Exzellenzgehabe.

Ich bin stolz auf sie!

Andy Lang

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