Im Grunde gut? Mit einem radikalen Experiment ins neue Jahr

Der Gute Gedanke von Andy Lang

Das neue Jahr ist noch keine drei Wochen alt. Vielleicht habt ihr es auch so begonnen wie ich: Mit Hoffnung! „Hoffentlich verfestigt sich der Krieg in Gaza nicht! Hoffentlich gibt es eine Wendung in der Ukraine! Hoffentlich wird alles nicht so schlimm – auch an der Klimafront.“

Unser Hoffnung scheint Lüge zu sein, denn scheinbar wird ja alles immer schlimmer. Die Kriege weiten sich aus, in der Politik gibt es einen Streit nach dem anderen, die AFD legt ständig in Umfragen zu und das Wetter spielt Kapriolen: White Christmas ist nur noch ein wohliges Gefühl, aber keine Wirklichkeit mehr!

Oder? Ist das wirklich so?

Wie wir auf die Welt und uns in ihr blicken, entscheidet darüber, wie wir uns in dieser Welt fühlen. Ohnmächtig, ausgeliefert, ferngesteuert auf den Abgrund zurasend?

Oder wirkmächtig, selbstbestimmt, fähig zum Guten?

Genau so blickt der junge niederländische Historiker Rutger Bregman in seinem Bestseller „Im Grunde gut“ – in 44 Sprachen übersetzt – auf die Menschen. Und wagt damit einen Bruch mit der traditionellen westlichen Anthropologie und Religion: „Dass der Mensch grundsätzlich böse sei, ist ein Grundpfeiler westlichen Denkens. Es halten uns immer nur ein zivilisatorischer Lack, eine Handvoll Gesetze und Autoritäten davon ab, über unsere Mitmenschen herzufallen“. Und schon am Beginn der Genesis heißt es ja: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ (Gen 8,21). Dagegen wagt Bregman die Vision, dass nicht Argwohn und Egoismus den Fortschritt der Menschen ermöglichen, sondern Vertrauen und Kooperation.

Kann das stimmen? Sind nicht die Gegenbilder zu solch einer positiven Sichtweise des Menschen all zu augenfällig? Gibt es nicht zu viele Donald Trumps, zumindest zu viele Leute, die solch einen Inbegriff an Rücksichtslosigkeit und Egomanie toll finden? Und das nicht nur in Amerika, sondern auch bei uns im Land. Im Katalog eines fragwürdigen Verlags sah ich neulich ungläubig eine Buchvorstellung mit dem Titel „Die Helden 24“. Auf dem Cover: Trump und Höcke. Trump selbst sagt in seinem Buch „Wegweiser zu Erfolg“: „In einem tollen Deal gewinnst du – nicht die Gegenseite. Du demontierst deinen Gegner und ziehst deinen Vorteil daraus“.

Ich wage zu behaupten: Man kann so die Welt betrachten und nach dieser Maxime handeln. Man kann damit sogar erfolgreich sein. Glücklich sein kann man damit nicht!

Wer zynisch und verachtend die Welt und ihre Menschen betrachtet, wird das eigene Gift nicht von sich abhalten können.

Wer aber freundlich, zugewandt und hoffnungsvoll trotz aller anderen Eindrücke gegenüber sich und der Welt sein kann, wird ein gerüttelt Maß an genau solchen Erfahrungen machen: Dass wildfremde Menschen mich anlächeln, dass Hilfe aus unerwarteten Ecken kommt, dass die Menschen grundsätzlich verbunden miteinander sind und einander Gutes wollen.

Unsere Medien erzählen eine andere Geschichte. Und natürlich gibt es die auch. Aber eben als Ausnahme, nicht als Norm. Nur denken wir wegen der Fülle dieser schlechten Nachrichten, die nur so gute, also verkaufswürdige  Nachrichten sind, dass das Böse die Norm und das Gute die Ausnahme sei. Verdrehte Welt!

Als junger Mann bin ich durch halb Europa getrampt, obwohl man ja nicht trampen soll – einfach zu viele Verrückte unterwegs. Ausnahmslos freundliche Leute haben mich mitgenommen, mich manchmal sogar auf einen Kaffee eingeladen, wir haben anregende Gespräche geführt. Zuletzt hab ich das vor vier Jahren versucht und wollte nach Berlin trampen. Meine Frau hat mich für plemplem erklärt. Aber ich wollte wissen, ob es heutzutage (und in meinem fortgeschrittenem Alter, ich war da knapp 50) noch geht. Keine Viertelstunde stand ich am Autohof, bis mich ein super nettes Paar mit in die Hauptstadt nahm und auf ihrem Rückweg eine Woche später sogar ein Konzert von mir besuchte! Keine Zeitung der Welt würde solch eine story drucken. Und dennoch ist die Welt voll davon. Wer viel reist und auf die Hilfe oder zumindest Freundlichkeit fremder Menschen angewiesen ist, kann dieses Lied singen: Wir sind im Grunde gut und wir wollen einander helfen.

Wie wäre es, wenn wir dieses Jahr 2024 mit einem Brillen Experiment angehen: Wenn wir den Menschen, die uns begegnen, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit unterstellen würden. Wenn wir unserer Wahrnehmung eine Freundlichkeitsbrille verpassten.

So wie es schon vor 350 Jahren der Song aus elisabethanischer Zeit rät:

„This time of the year is spent with good cheer and neighbors together do meet“ –

frei übersetzt: Lasst uns diese Zeit frohgemut und fröhlich verbringen und so unseren Nächsten begegnen!

Kein schlechter Vorsatz am Beginn eines Jahres, finde ich.

Euer Andy

PS: Wenn es nicht klappt, könnt ihr ja sagen, dass ihr die schlechte Idee von mir habt!

PPS: Rutger Bregman behauptet als Clou, dass nur unsere Freundlichkeit und Kooperationsfähigkeit als Evolutionsvorteil uns zu dem machte, was wir sind: Nicht homo sapiens, sondern homo puppy, der freundliche Mensch.

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