„Sei du selbst die Veränderung…“
Gedanken von Annemarie Ritter
Beim Ostergottesdienst in unserer Gemeinde habe ich eine Frau besonders wahrgenommen. Während eines meditativen Musikstücks ging ich durch die Reihen, um den Leuten ein Bild aus der Nähe zu zeigen. Als ich zu der Frau kam, sah ich, dass sie die Augen geschlossen hatte. Sie wirkte ganz in sich versunken und zugleich ganz intensiv gegenwärtig, ganz präsent. Ich wollte sie nicht stören und ging leise weiter. – Nach dem Gottesdienst kam sie zu mir und bat darum, das Bild sehen zu dürfen; sie sei so konzentriert gewesen, dass sie es verpasst habe. Und ob sie die Texte bekommen könne – meine Gebete, die Predigt meines Mannes… alles sei so bewegend gewesen für sie; sie wolle es gern nochmal in Ruhe lesen. Ich notierte ihre Adresse und schickte ihr am nächsten Tag die Texte. Dazu schrieb ich ihr, wie ich sie wahrgenommen hatte. Und dass sie meinem Empfinden nach durch die Art und Weise, wie sie da gewesen war, entscheidend zu der Tiefe und Intensität beigetragen habe, die sie und andere gespürt hatten.
Knapp zwei Wochen später bekam ich einen langen, intensiven Brief von ihr, der mich bis heute bewegt. „Auch für mich hatten diese Ostertage Momente, die mich in besonderer Weise berührt haben…“, so schrieb sie. „Einer dieser Momente war das Osterfeuer am Ostersonntag früh, bei Andy Lang. Es war das erste Osterfeuer, das ich erleben durfte. Irgendwie war es mir wichtig, dieses Osterfeuer in diesem Jahr unbedingt wahrzunehmen. Und ich bin dankbar, dass ich es so erleben durfte, mit allem, wie es war. Und dann der Gottesdienst in der Christuskirche, mit all den Worten, den Gedanken, mit all den Klängen, in den feinsten Nuancen. Bis hin zum ‚Unhörbaren‘, deinem Vorübergehen mit dem Bild. Du bist so leise, so still vorübergegangen, dass ich dich gar nicht wahrgenommen habe. Keine Diele hat geknarrt, kein Windhauch war zu spüren. Und doch warst du vermutlich da, denn du hast mich ja ‚gesehen‘. So möchte ich mir Gott vorstellen. Auch wenn ich ihn nicht sehe, auch wenn ich ihn nicht spüre: Er ist da. Er sieht mich…“
Ich habe Gänsehaut, als ich ihre Zeilen lese, und mein Herz schlägt schneller als gewöhnlich. Unwillkürlich denke ich an die biblische Erzählung über Elia (1. Könige 19): Wie der Prophet zum Gottesberg geschickt wird mit der Ankündigung, der HERR werde dort an ihm vorübergehen. Wie Elia auf dem Berg die Naturgewalten erlebt, den HERRN aber nicht spürt in ihnen – weder im Sturm noch im Erdbeben noch im Feuer. Wie er IHN danach jedoch wahrnimmt in einem stillen, sanften, kaum wahrnehmbaren Hauch; in der „Stimme“ der lautlosen Windstille.
Es bewegt mich, zu spüren, wie Menschen sich mit ihrem ganzen Sein hingeben an den Ruf, die Sehnsucht, die ihnen den Weg weist. Manchmal ist es ein einziger Moment, in dem das geschieht. Ein geist-gewirkter Moment, der Veränderung bewirkt. Ein Moment, der Veränderung IST. Manchmal ist es ein langer Weg, vielleicht sogar ein lebenslanger. Ein vom Gottesgeist durchwehter Weg, der Veränderung bewirkt. Ein Weg, der Veränderung IST.
Ich wünsche mir und euch, den Ruf, die Sehnsucht zu spüren. Ich wünsche uns, dass wir uns einlassen auf den Moment, auf den Weg, auf die von Gottes Geist gewirkte Entwicklung und Veränderung. Dass wir uns hingeben mit unserem Sein und so – wenn „es sein soll“ – selbst Teil der heilvollen Veränderung werden.
„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“
Mahatma Gandhi