Warum Fasten?

40 Tage ohne! So werben Kirchen und andere soziale Verbände seit langem für einen bewussten Verzicht auf eine liebgewonnene Verhaltensweise bzw. ein bewusstes Essverhalten in der Passionszeit. Dabei erinnern die 40 Tage an die Zeit, die Jesus fastend in der Wüste verbracht hat (Mk 1, 12 – 13 und Lk 4, 1-13). Die Erzählung steht bewusst im Markus Evangelium vor dem öffentlichen Auftreten Jesu und ist so etwas wie eine Initiation für die Vollmacht und den Auftrag, mit dem Jesus später auftritt.

Das Fasten ist fast so alt wie die Menschheit. In der prähistorischen Jäger- und Sammlerzeit lag das schlicht daran, dass es nur dann etwas zu essen gab, wenn die Männer bei der Jagd erfolgreich waren bzw. der Wurzel- und Beerenvorrat der Frauen noch nicht aufgebraucht war.

Später wurde aus der schieren Notwendigkeit eine geistliche Übung. Wer nichts oder wenig braucht, ist auch nicht abhängig von irgendetwas und somit besonders frei. Den antiken Griechen war die Freiheit ein hohes Ideal und so gab es besonders bei ihnen etliche Philosophen, die Bedürfnislosigkeit gepredigt haben. Berühmt ist die Begegnung von Diogenes aus Sinop mit dem jungen, ungestümen Eroberer Alexander dem Großen. Diogenes lebte in einer Tonne als Zeichen dafür, dass er gar nichts brauchte und fastete natürlich auch immer wieder. Für seine Freiheit und die Lässigkeit, mit der er dies tat, war er über die Grenzen Kleinasiens bekannt und berühmt geworden. Lässig auch seine Antwort auf Alexanders Frage, was er sich denn von ihm, dem großen und mächtigen Feldherrn wünsche. Vielleicht roch Diogenes den Braten, denn obgleich der Held die Macht hatte, dem Philosophen alles zu geben, war es doch eine Fangfrage: Hätte Diogenes um Gold, Einfluss oder einen schicken Palast gebeten, wäre seine Bedürfnislosigkeit ja Makulatur gewesen. Und so sagte er nur zu dem tief erstaunten Herrscher: „Geh mir aus der Sonne“. Das war alles, was Diogenes von Alexander erbat. Damit blieb Diogenes arm, aber frei und wurde weltberühmt.

Epikur ist mein Lieblingsphilosoph der alten Griechen. Oft wird er fälschlicherweise als Hedonist verkannt, also als jemand, der die Lust als höchsten Wert bewirbt. Tatsächlich heißt Hedoné auf griechisch aber nicht Lust, sondern Freude. Es geht ihm darum, nachhaltig und mit möglichst viel Freude zu leben. Epikur sagt, es lohnt sich, auf eine Freude zu verzichten, wenn aus ihr ein größerer Schmerz entsteht (wie bei einem Trinkgelage, das zwar Spaß macht, aber einen fürchterlichen Schädel nach sich zieht) oder umgekehrt einen Schmerz zu ertragen, wenn daraus etwas Gutes erwächst (wie beim Einrenken eines ausgekugelten Arms). Zum Fasten sagt er: „Man muss nur eine Woche fasten, dann wird einem selbst ein kynischer Käse oder ein abgestandener Wein als Freudenmahl erscheinen“.

Man kann das Fasten aber auch missbrauchen. Entweder, weil man es übertreibt und seinem Körper dadurch schadet oder weil man es instrumentalisiert als fromme Übung. Etwa zur gleichen Zeit wie Epikur hat das bereits der indische Prinz Siddhartha erkannt, der sich nach einem königlichen Leben in Saus und Braus ganz der Askese hingegeben hatte und darin so fortgeschritten war, dass alle anderen indischen Asketen ihn beneideten. Unter einem Feigenbaum traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz: Auch das Fasten führt nicht in die Freiheit, sondern nur die Aufgabe allen Wollens: Nur wer nichts mehr will, ist wirklich frei. Und kann darum alles tun – oder auch lassen. Weil er als erstes diese Erleuchtung hatte, nannte man ihn den Buddha – den Erleuchteten.

Zurück zu uns: Warum sollten wir fasten?

Für mich liegt die Antwort auf der Hand, auch wenn natürlich viele Menschen viele gute Gründe zum Fasten haben: Gesundheit (Detox), geistliches Leben (Passionszeit und Meditation des Leidens Jesu), ja sogar politische Überzeugungen (klimafreundliches Nahrungsverhalten):

Wir leben in einer Überflussgesellschaft. Zuviel des Guten ist dennoch zu viel! Mediale Dauerbefeuerung, exzessives Freizeitverhalten, überbordende Stimmungsmache und Meinungsdiktat: Es ist gut, stressreduzierend und pegelt uns wieder auf ein gesundes Maß ein, wenn wir all dem für eine Zeit den Rücken kehren. Nicht gezwungenermaßen, sondern aus freien Stücken. Und so mag ich euch heuer zu einem besonderen Fasten einladen, nicht als Ersatz für Heil-, Alkohol – oder Süßigkeiten fasten, sondern als Vertiefung:

Wie wäre es, wenn wir in den Tagen bis Ostern mit unserer Meinung bzw. unserem Urteil zu Dingen, Menschen und Ereignissen sehr zurückhaltend wären? Vielleicht sogar abstinent?

Meinungsfasten also!

Ich denke, das täte nicht nur uns selbst, sondern auch unserer Gemeinschaften und unserer Gesellschaft als Ganzes gut – gerade nach dem Wahlkampf oder den immer noch präsenten Verwerfungen in der Pandemie.

Aus solch einem Meinungsfasten könnte nicht nur mehr Ruhe und Gelassenheit entstehen, sondern auch etwas, was wir alle dringend brauchen: Frieden!

Andy Lang

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