Warum wir dringend ein Pfingstwunder brauchen
Am vergangenen Donnerstag war Himmelfahrt – wie immer zuverlässig 10 Tage vor Pfingsten. Mit meiner ganzen Familie bin ich zum Goldbergsee gepilgert: Dort gibt es in schönem Ambiente unter altem Baumbestand und mit Seeblick einen stimmungsvollen und beliebten Open Air Gottesdienst. Die Kollegin fragte „getarnt“ als Reporterin, welches kirchliche Lieblingsfest die Leute hätten und schaute dabei mich an. Ohne zu überlegen sagte ich „Pfingsten“, obwohl eigentlich Weihnachten stimmen würde, aber diese Antwort wollte ich lieber einem der zahlreichen Kinder überlassen.
Die Anwesenden schmunzelten ob meiner abwegigen Antwort und die Predigt nahm ihren Lauf und erklärte den Sinn von Himmelfahrt.
Einige Tage noch grübelte ich über meine Antwort nach. Warum Pfingsten? Und ich fand tatsächlich einen guten Grund, warum mir im Moment Pfingsten – am besten mit einem gehörigen und spektakulärem Pfingstwunder – dringend angebracht erscheint.
Pfingsten wird allgemein hin als Geburtstag der Kirche beschrieben. Das ist nicht falsch, aber lenkt von einem noch wichtigeren Aspekt ab:
„Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind … und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie vom Feuer, und er setzte sich auf einen jeden von ihnen und sie wurden alle erfüllt vom Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen … und die Menge wurde bestürzt, denn jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden und sie entsetzen sich und sprachen: „Wie hören wie denn jeder seine eigene Muttersprache?“ … Andere aber hatten ihren Spott und sagten: Sie sind voll des süßen Weins.“ (Apg 2, 2 – 12)
Egal, wie man zu der Möglichkeit von Wundern oder einem Instant Crash Kurs von Duo Lingo steht: Etwas wirklich Besonderes war da in Jerusalem geschehen, ein Kommunikationswunder: Menschen hörten das, was sie wirklich betrifft, so, dass sie es verstehen konnten – nicht irgendwie und ein bisschen, sondern ganz tief, in ihrer Muttersprache.
Wir haben diese Fähigkeit verloren. So zu anderen Menschen – gern auch mit anderen Standpunkten – zu sprechen, dass wirklich etwas Tiefes geschieht. Und wir haben diese Fähigkeit nicht verloren, weil wir nicht mehrsprachig wären, oder rhetorisch unbegabt oder weil uns schlicht die Worte fehlen. Wir haben es verlernt, weil wir den wesentlichen Schritt zuvor nicht mehr gehen wollen: ZUHÖREN!
Ich bin davon überzeugt, dass man sich den Respekt und in dessen Folge die Aufmerksamkeit seines Gegenübers verdienen kann, indem man ihm oder ihr zuhört. Versucht, zu verstehen, Perspektivenwechsel wagt. Das ist anstrengend, herausfordernd und mitunter gefährlich, denn man könnte ja überzeugt werden. Da ist es doch viel sicherer und v.a. angenehmer, in seiner trutzigen Meinungsburg zu bleiben und die Mauern im Notfall noch ein bisschen hochzuziehen. Aber zueinanderkommen, miteinander schwingen und auch mal Differenzen auszuhalten, ohne den anderen in Bausch und Bogen zu verwerfen: das scheint nicht mehr en vogue. Egal ob es um politische (Frieden!) oder gesellschaftliche (Covid!) Themen geht: Wir predigen heute einander an und wenn wir merken, dass wir unser Gegenüber nicht einfangen, lassen wir es lieber fallen und stempeln es ab als links oder rechts, C – Leugner oder Obrigkeitshörig, usw. Zu sehr scheinen wir gefangen in unseren Echoräumen und zu vielfältig – unübersichtlich ist die Informationslage geworden, so dass wir nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
In diesen Zeiten des Meinungsdogmatismus und der Spaltung unserer Zivilgesellschaft helfen mir diese drei Haltungen: Demut, Gelassenheit und ein liebevoller Blick.
Demut sagt mir, dass ich nicht alles wissen kann und muss. Ich bin froh, dass ich nicht den Job von Boris Pistorius habe oder von Karl Lauterbach. Ich darf durchaus eine Grundeinstellung zu den heißen Themen unserer Tage haben, z.B. darf ich Pazifist sein oder auch für Waffenlieferungen, aber ich muss nicht so tun, als wenn von meiner Meinung der Lauf der Welt abhängig wäre.
Gelassenheit befähigt mich, eine andere Meinung meines Gegenübers stehen lassen zu können und auch wenn diese Meinung diametral zu meiner Einstellung steht, kann ich mit diesem Menschen noch befreundet sein und ihn oder sie schätzen. Ich muss mein Gegenüber nicht reduzieren auf diesen einen Aspekt und unsere Differenz!
Der liebevolle Blick auf die Welt und ihre Menschen macht mich selber schön! Wenn ich meine Wahrnehmung auf das Gute, das es ja trotz aller Krisen noch in Hülle und Fülle gibt, fokussiere, werde ich selbst entspannter und glücklicher sein! Zugegeben: Es macht Spaß, in einer Gruppe andere in die Tonne zu treten und eloquent darzulegen, wie bescheuert, ignorant oder abgedreht jemand angeblich ist. Neulich habe ich über meinen fast 20-jährigen Sohn gestaunt: Immer mal wieder blitzt in Arthurs Worten eine alters ungemäße Weisheit auf. Die Rede kam in der Runde auf Trump und eine seiner disruptiven Ankündigungen und die Versuchung war groß, auf dieser Spur weiterzugehen, um die eigene Ohnmacht ein wenig durch schwarzen Humor zu kompensieren. Da sagte Arthur: „Ich möchte auch über Donald Trump nicht schlecht reden“.
Sofort nahm das Gespräch eine ganz andere, vermutlich bessere und tiefere Wendung.
Ich bin überzeugt, dass wir das können: Demut, Gelassenheit und einen liebevollen Blick walten lassen. Auch, wenn es anstrengend wird: Die Früchte werden sich einstellen und es lohnt sich, für ein Pfingstwunder zu üben!
Es könnte sein, dass der Heilige Geist dann der gute spirit ist, mit dem wir unterwegs sind und der uns hilft, ein liebe- und verständnisvolles Miteinander in unseren kleinen und großen Kreisen zu leben.
Euer Andy