Wie die Ruhe uns rettet



Ich beeile mich, um meine Aufgabe zu erfüllen. Auf dem Weg dahin springt mich ein anderes To Do Ding an und schreit mir ins Gesicht: „JETZT! SOFORT! Kaum widme ich mich dieser Aufgabe, fällt mir ein, dass der Müll noch an die Straße muss.

Jeder von uns kennt das: Es nimmt einfach kein Ende. Derberühmte Sissyphos Berg. Egal, wie sehr ich hetze oder wie effizient ich bin. Something went wrong.In genau so einer Situation kommt Miriam daher und schenkt mir dieses Buch: „Warum Ruhe unsere Rettung ist.“ Genial der Untertitel, der mich sofort schmunzeln lässt: „Stell dir vor, du tust nichts und die Welt dreht sich weiter!“.

Mit Humor und Sachkenntnis beschreibt darin der schwedische Autor Tomas Sjödin, wie regelmäßige und im Alltag stark verwurzelte Ruhepunkte uns förmlich retten können. Und wahrhaft, wir müssen gerettet werden!  Gerettet von unserer eigenen eingebildeten Wichtigkeit, dem selbstgemachten Hamsterrad und auch den vielen Verpflichtungen, die uns von außen aufgedrückt werden. Wir leben in einem System, das nur funktioniert, wenn es wächst. Und es wächst nur durch permanente Beschleunigung. Kein Wunder, wenn viele das nicht mehr packen und im Burn out landen.

Wie kann ich mich dem also entziehen? Im Moment bin ich im Urlaub und schreibe diese Zeilen an einem wunderschönen See in Burgund. Weil wir campen, geht alles ganz langsam und bedächtig. Die Situation, die ich oben beschrieben habe, scheint mir Milchstraßen weit entfernt. Aber ich weiß dennoch: Ich vier Tagen ist unser Urlaub vorbei, die Ausnahmesituation vergangen und zu Hause wartet mein Alltag und die vielen Dinge. Was kann mir also helfen, die Ruhe von hier, die Gelassenheit, die zu ihr gehört und die Freude, die sich dabei einstellt, mit nach Hause zu nehmen?

Vielleicht zuerst einmal die Erkenntnis: Der Alltag ist nicht mein Feind. Er ist mein Leben und er kann auch erfüllend und beglückend sein. Mit der Illusion, dass das eigentliche und gute Leben im Urlaub stattfindet, werden Millionen von Menschen verarscht und Milliarden von Euros verdient.

Diesen Alltag kann ich dann als beglückend erleben, wenn er mich nicht überfordert, sondern ich in meiner Kraft bin und meine to do Liste so gestalte, dass ich sie auch realistisch schaffen kann. Dazu gehört der Mut, Dinge mal liegen zu lassen, anderes zu verschieben oder schlicht und einfach
„Nein“ zu sagen. Aber besonders gehört dazu die Bereitschaft, einmal Pause zu machen. Echte Pause. Nicht innehalten von meiner Aufgabe, um schnell das Handy zu checken oder jemanden zurückzurufen.

Tomas Sjödin schreibt zum Beispiel vom Segen des Mittagsschlafs. Seriöse Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass ein kurzer, aber ungestörter Mittagsschlaf der Erholung von 1,5 Stunden Nachtschlaf
entspricht. Mit dem ihm eigenen nordischen Humor sagt Sjödin sich selbst: „Ich kann es mir gar nicht leisten, nicht hier zu liegen!“

Eine der größten Kulturerrungenschaften ist die allgemein verordnete Pause. Als das Volk Israel vor über 3000 Jahren den Sabbat erfunden hat, war das eine Rebellion gegen die frühkapitalistische Sklavenhalterei im vorderen Orient. 24/7 ist kein modernes Phänomen, sondern das, was es schon immer war: Ausbeutung und Überforderung. Dabei ist es das Natürlichste und der ganzen Schöpfung Innenwohnende, dass es Zeiten mit unterschiedlichen Qualitäten gibt. Die Ruhe, das Innehalten und Atemholen gehört dabei zu den verheißungsvollsten Zeiten. Sie bedarf des besonderen Schutzes oder anders gesagt: Regeln. Sjödin beobachtet in Jerusalem die besonders strengen orthodoxen Juden und stellt fest: „strenge Regeln und entspannte Menschen“. Umgekehrt gilt dann vielleicht: Keine Regeln und gestresste Menschen.

Wir können uns also ruhig trauen, um unserer selbst willen ein paar gute Regeln für unseren Alltag aufzustellen. z.B: `nach dem Abendessen arbeite ich nicht mehr.` Oder: `Am Sonntag kaufe ich nichts ein.` Oder: `Ich lass mir echt Zeit beim Kaffeetrinken.`

Dabei wird es nicht um die Regel als solche gehen, sondern um die Freude und die Gelassenheit, mit der wir beschenkt werden. Beschenkt! Ich glaube, das ist die stärkste Waffe gegen Überforderung und Rastlosigkeit: Das Wissen, dass alles Wesentliche ein Geschenk ist und dass ich mich nicht selbst retten kann. Ich hab nichts in der Hand. Aber genau dann, wenn meine Hände leer sind, können sie sich füllen lassen von all dem Guten, das das Leben und hinter ihm Gott für mich bereit hält. Mit Sjödins Worten: „Offenbar müssen die Umstände uns manchmal die Kontrolle aus der Hand nehmen, damit wir unsere Hände öffnen und das entgegennehmen, was nur als Gabe empfangen werden kann.“

Ich nehme Abschied hier vom See, packe meine Sachen zusammen und starte das Auto. Ich freue mich auf daheim. Und einen neuen Alltag.

Andy Lang, 28.8.24



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