Zeit der Fülle – Zeit für Leere

Wir sind mitten im Advent. Die Weihnachtsmärkte haben Hochsaison, der Glühwein dampft aus allen Rohren, die Plätzchen duften lecker und verführen zu dem ein oder anderen Happen mehr als geplant. Manchmal wird dann aus der Lust eine Last und das schlechte Gewissen schlägt zu, wieder einmal über die Stränge geschlagen zu haben.

Kaum jemand weiß dagegen – geschweige denn lebt noch – die alte Tradition, den Advent als Fastenzeit zu begehen. Eine kleine Erinnerung daran könnte einem aufmerksamen Beobachter im Gottesdienst begegnen, wo die die Stoffe an Altar und Kanzel (Antependien) uns in Lila entgegenleuchten – nicht weil es so eine schöne und kirchliche Farbe wäre, sondern weil es die Farbe für die Fastenzeit ist. Aber wer kennt sich schon aus mit liturgischen Farben und ihrer Bedeutung!

„Typisch“, könnte jetzt mancher Kirchenkritiker denken, „die Kirche versaut einem doch echt jede Freude – gerade in dieser stimmungsvollen Zeit will ich mein Adventsfeeling – und dazu gehören eben Plätzchen und alles, was glüht.“

Der Advent als Fastenzeit ist aber viel mehr als ein schlechtgelaunter Spaßverderber – ganz im Gegenteil: Er ist ein Freuden-Vertiefer! Jeder von uns weiß: Nur, weil ich etwas genieße, bin ich noch nicht glücklicher. Die Freude kommt eher mit einem bewussten und achtsamen Wahrnehmen all der großen und kleinen Schönheiten im Leben. Und achtsam geht weder betrunken noch mit vollem Bauch. Eher mit einem maßvollen Umgang mit dem Leben.

Es geht also weniger darum, dass wir uns etwas verbieten. Wenn wir dagegen bewusst genießen und dabei auch mal das ein oder andere weglassen, vertieft sich der Genuss von selbst.

Mir scheint, wir haben es heute schwer mit dem Maßhalten. Klar auch, denn die Doktrin vom Wirtschaftswachstum braucht ja ständige Konsumenten, die die eigene Leere mit irgendetwas füllen, was man kaufen kann – sei es ein Erlebnis, eine Wellnessaktion oder eben Speiss und Trank.

Mir geht es gar nicht um einen Generalverzicht und schon gar nicht um ein säuerliches Verbotsregime. Sondern um Lust, Freude und Hingabe an den Moment.

So wie Evi: In der letzten Novemberwoche nimmt sie sich ein paar Tage frei, um für all ihre Lieben und Freunde Plätzchen zu backen. Nicht weil sie muss, sondern weil sie will. Sie freut sich schon Wochen vorher auf ihre „Weihnachtsbäckerei“. Wenn es dann soweit ist, bekommen die Auserwählten ein liebevoll verpacktes Plätzchengeschenk. Ich kenne niemanden, der diese großzügige Gabe an einem Abend einfach so wegnascht. Bei uns ist es eher ein bewusstes „Ein Plätzchen zu seiner besonderen Zeit“ mit einem lieben Gedanken an Evi. Und so fließt viel Gutes wieder zurück zu der Guten.

Ich habe neulich von den blauen Zonen der WELT gelesen – das sind Orte, an denen eine bedeutende Anzahl von Menschen 90 oder sogar 100 Jahre alt werden. Dazu gehört auch die japanische Insel Okinawa, die ziemlich genau zwischen Japan und Taiwan liegt. Die Menschen dort essen nach dem System „Hara Hachi bu“ einfach so viel, bis der Magen zu 80% voll ist und folgen damit der konfuzianischen Weisheit der Mäßigung. Das Bewusstsein für die aufgenommene Essensmenge verhindert dabei, dass sich die Leute gedankenlos vollstopfen oder ihre innere Leere oder den Frust mit Nahrung übertünchen.

Das möchte ich in diesen Tagen gern ausprobieren: Ich werde etwas weniger machen, etwas weniger essen aber dafür intensiver den Moment erleben und genießen.

Vielleicht wird dann der Raum in mir frei, den ich brauche um Platz zu machen. Raum für SEINE Ankunft, die Geburt des Gottessohnes in mir. ADVENT eben.

Andy Lang

Schreibe einen Kommentar