Die Krise als Chance - Eine Einladung zum Reifen - Buch Andy Lang

8: Wertschätzen statt spalten

Ein irisches Sprichwort sagt: „Lobe die Jugend und sie blüht auf“. Ist es nicht für uns alle so, dass wir durch Zuspruch und Wertschätzung ermutigt werden, das Beste in uns zu leben? Dass wir ganz feine Antennen haben dafür, ob Kritik uns helfen will, etwas besser zu machen, oder ob sie uns nur kleinmachen und –reden will, damit der andere sich größer fühlt. Liebevolle Kritik baut auf, weil sie an uns glaubt, destruktive Kritik will sich nur selbst erleichtern und sich selbst großmachen.

Wir alle leben täglich von Zuwendung. Und wir erleben es alle im Moment in so kleinen aber berührenden Momenten wie beim Einkaufen, wenn ein fremder Mensch mich anlächelt oder die Kassiererin besonders freundlich ist.

Ich erlebe Ähnliches im großen Kontext der aktuellen Politik: In der Pandemie mußten schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden – aber die Maßnahmen greifen nur, wenn sich möglichst viele daran halten. Wie auch immer man die verschiedenen Entscheidungen bewerten mag: Es ist einfach jedem bis in die Führungsebenen unseres Landes klar, dass wir nur gemeinsam die Krise bestehen können, weil wir eben so vernetzt und abhängig voneinander sind. Das heißt nicht, dass Bürger zu allem ja und Amen sagen sollen – wir müssen im Gegenteil unser eigenes ethisches und auch politisches Urteil schärfen. Aber der Austausch, ggf. auch die kontroverse Auseinandersetzung und die politische Debatte müssen mit Respekt und Achtung vor anderen Meinungen und Persönlichkeiten geführt werden.

Während Spalter vom rechten Rand auf dem Höhepunkt des Lockdowns erstaunlich still waren und es auch um die AfD ruhig wurde, hat sich die Lage in den letzten Wochen sehr geändert: Menschen gehen auf die Straße und demonstrieren gegen die Maßnahmen der Regierung. Das ist erst mal ihr gutes Recht. Wer aber absichtlich die Abstandsregeln verletzt oder demonstrativ keine Maske trägt, sagt damit nonverbal: Scheißegal! Und das ist es eben nicht. Wir sind in Deutschland bisher noch glimpflich davon gekommen. Aber nicht, weil das Virus hierzulande weniger schädlich ist oder sich die Menschen eines besseren Immunsystems erfreuen. Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems wurde durch schnelle und konsequente Kontaktbeschränkungen verhindert. Wir hatten hier kein Bergamo und auch kein New York.

Und natürlich stimmt das auch wieder: Auch in Deutschland wurde kostbare Zeit verspielt. Manche Maßnahmen gingen einfach zu weit und machten keinen Sinn – warum sollte man auf einer Parkbank keine frische Luft schnappen können? Und andere waren für die Betroffenen einfach nur schrecklich: Menschen mussten allein und isoliert sterben und konnten dann noch nicht einmal angemessen und würdig bestattet werden. Das sind große Belastungen und man muss sie benennen und beklagen.

Verantwortungsvolle Leute, darunter drei Ärzte, sagten in den letzten Wochen zu mit: ich möchte jetzt nicht in der Haut der Entscheidungsträger stecken. Wir wissen einfach so vieles über das Virus nicht, aber müssen dennoch Entscheidungen treffen. Dabei werden auch Fehler gemacht werden und im schlimmsten Fall Schuld auf sich geladen werden. Politiker sind auch nur Menschen. Und sie stehen unter einem enormen Druck.

Wenn wir mündige Bürger sein wollen, ist es unsere Pflicht, auf Missstände hinzuweisen. Aber eben auch Erfolge zu benennen. Wertschätzen ist nachhaltiger als spalten. Bekannte aus Italien, wo der Lockdown wesentlich rigoroser war als bei uns, verstehen nicht, was wir Deutschen denn nun schon wieder für ein Problem haben. Warum wir so unzufrieden sind.

Um es geradeheraus zu sagen: Hinter dem weltweiten pandemischen Geschehen stecken keine finsteren Strippenzieher. Man kann von Bill Gates halten, was man will (ich bin nicht begeistert) aber er zettelt keine Weltrevolution an. Unsere Politiker sind keine Marionetten, sondern demokratisch gewählte Volksvertreter, die nach besten Wissen und Gewissen entscheiden – und manchmal auch falsch entscheiden. Was mich an ihnen wirklich aufregt sind nicht die Corona Maßnahmen, sondern ihr abwägendes und abwiegelndes Vorgehen gegenüber all den wundervollen jungen Menschen, die mit Fridays for future den Finger in die wirkliche Wunde legen.

Was mir im Moment wirklich Sorgen macht: Es sind nicht nur rechte Verblendete, die Fake News und Verschwörungstheorien befeuern, sondern es werden mehr und mehr Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft und unter ihnen besonders stark Leute, die sich als spirituell bezeichnen würden. 

Klar, wir alle haben Angst  – vielleicht nicht vor dem Virus, aber vor den ökonomischen Folgen der Maßnahmen oder wir sind zumindest verunsichert.

„Diese Unsicherheiten auszuhalten, kostet Kraft. Aber Verschwörungstheorien und Fake-News bieten keine Lösung, sie verführen. Sie gaukeln eine Eindeutigkeit und eine Sicherheit vor, die es gerade leider nicht gibt. Eindeutigkeit und Sicherheit fühlen sich für manche Menschen erst einmal gut an, insbesondere wenn sie ökonomisch hart von der Krise getroffen sind. Doch die Folgen dieser Ideologien sind real und gefährlich für uns alle.“  Felix Kolb

Und das andere stimmt auch: Nicht jeder, der Kritik äußert oder Maßnahmen in Frage stellt, ist gleich ein Verschwörungstheoretiker. Wir müssen sehr vorsichtig sein mit dieser Schublade, denn jeder demokratische Diskurs lebt von der Vielstimmigkeit und dem Mut zur eigenen Haltung. Liberale, soziale und konservative Kräfte sorgen miteinander in einem hoffentlich achtsamen Kampf dafür, dass sich möglichst alle BürgerInnen mitgenommen und wahrgenommen fühlen im politischen Leben unseres Landes. Zuviel politische Gleichstimmigkeit bildet die unterschiedlichen Haltungen und Stimmungen unserer Bevölkerung nicht adäquat ab. Darum ist die politische Debatte so wichtig – und die ist etwas ganz anders als die persönliche Diffamierung.

Was können wir tun, auch wenn wir kein politisches Mandat haben?

Wir können eine eigene Haltung zu den Dingen und Geschehnissen haben, aber auch die Freiheit, anderen ihre abweichende Haltung zuzugestehen. Wir können im Austausch sein – es hilft mir sehr, im persönlichen Gespräch mit Freunden Orientierung zu finden. Die Einbahnstraßen Kommunikation der social media, wo irgendjemand irgendetwas postet, finde ich dagegen nicht so hilfreich. Wir werden mitunter mutig sein müssen, wenn allzu diffuse Behauptungen im Brustton der Überzeugung vorgetragen werden und deutlich Stellung beziehen ohne gleich das Gegenüber aufzugeben. Beziehung ist so viel wertvoller als Meinung!

Kann es sein, dass wir das verlernt haben: Dass man sich achten, vielleicht sogar lieben kann, auch wenn man unterschiedliche Auffassungen hat? Schweigen ist jedenfalls keine Option.

Aber wenn wir reden, dann lasst es uns mit Werten verbunden tun:

Ich bleibe bei der Wahrheit.

Ich wertschätze.

Ich erkenne an, dass meine Sicht subjektiv ist.

Damit wäre schon einmal sehr viel gewonnen. Und wir könnten gemeinsam und gestärkt aus dieser Krise gehen. Unsere Spaltung dagegen hilft dann doch noch dunklen Mächten: jenen am rechten oder linken Rand!

Andy Lang, 24.5.2020

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