Fasten

Gedanken von Annemarie Ritter

Ich schlage die Zeitung auf und mein Blick fällt auf eine Karikatur: Ein Mann beugt sich über einen Teller mit zweifelhafter Füllung, macht ein entsetztes Gesicht und stöhnt: „Wie jetzt? Fasten auch noch!?! – Gott bewahre!“ Ich muss lachen. Es erinnert mich an einen Ausspruch unseres Sohnes. Der ist ein großer Fan von Nutella und ähnlichen Genüssen und erklärte bereits im Grundschulalter im Brustton der Überzeugung: „Ich faste auf Fasten!“ Diesem Prinzip ist er bis jetzt weitgehend treu geblieben.

Mag sein, dass das in dieser Zeit, wo wir ohnehin auf so vieles verzichten müssen, eine gesunde Einstellung ist. Wem es hilft, mit „Fasten auf Fasten“ ein Stück Leichtigkeit und Lebensfreude zu gewinnen, dem sei das von Herzen gegönnt!

Nicht wenige Menschen jedoch wählen in diesen Wochen eine Form des bewussten Verzichts, die ihnen – und manchmal darüber hinaus auch anderen – guttut. So verzichten manche ganz klassisch auf Alkohol, Süßigkeiten, Kaffee oder andere Genussmittel, um diese dann zu Ostern wieder neu und ganz bewusst und intensiv zu genießen. Andere stellen sich der Herausforderung, sieben Wochen ohne Facebook und Fernsehen auszukommen, oder sogar der besonders harten Challenge, auf ihr Smartphone zu verzichten. Das schafft ungeahnte mentale Freiräume, die der eine oder die andere womöglich auch nach Ostern nicht mehr missen möchte. Wieder andere versuchen, auf Plastik und Einwegverpackungen zu verzichten, und spüren Tag für Tag, wie schwierig das immer noch ist. Weniger Ablenkung und mehr Achtsamkeit, weniger Selbstbezogenheit und mehr Mitmenschlichkeit – auch solche und viele weitere Fasten-Vorsätze versuchen manche Menschen umzusetzen.

Ich habe in mich gespürt, was mein persönlicher „Sieben Wochen ohne…“- Vorsatz sein könnte. Bereits nach Sekundenbruchteilen „hörte“ ich in mir die Antwort: „Sieben Wochen ohne Sicherheit!“ Ich kann noch nicht sagen, warum das meine Antwort ist und was es genau bedeutet. Es ist eher eine offene Frage. Aber der Gedanke ist tief in mich gefahren und lässt mich nicht los. Obwohl ich in der glücklichen Lage bin, meine „Sicherheiten“ weniger in Frage gestellt zu sehen als viele andere Menschen, kriecht immer wieder ein Gefühl in mir hoch, wie bedroht, wie gefährdet, wie verletzlich unser aller Leben ist. Und wie unglaublich teuer erkauft all die vermeintlichen „Sicherheiten“ sind, die wir gerne hätten – und die doch nicht halten, was sie versprechen.

Wir versuchen, uns abzusichern, uns zu schützen, uns „unverwundbar“ zu machen – aktuell gegenüber dem Virus, aber auch in vielen anderen Zusammenhängen. Bei allem Verständnis für und Einverständnis mit den gegenwärtigen Maßnahmen – ich erlebe das als ambivalent.

„Ein Schiff im Hafen ist sicher, doch dafür werden Schiffe nicht gebaut.“

(J. A. Shedd)

Ich denke an die Grundsätze der Northumbria Community: availability (Verfügbarkeit) und vulnerability (Verwundbarkeit). Wie weise – und wie brisant!

Sind wir nicht gerade als Christen gefordert, Verunsicherung auszuhalten; mit Unsicherheit zu leben? Wir glauben, dass Gott sich verwundbar gemacht hat in einem Kind, das später als höchst „ungesicherter“ Wanderprediger unterwegs war…

Jesus sagt: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

Matthäus 8, 20

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